Keine Strafbarkeit bei Sportwetten-Vermittlung mit ausländischer Lizenz

Landgericht Kassel

Beschluss v. 02.12.2005 - Az.: 3 Qs 182/05 8863 Js 5972/05

Leitsatz

§ 284 StGB ist mit dem Europäischem Gemeinschaftsrecht nicht zu vereinbaren und ist damit keine wirksame Grundlage für eine Strafbarkeit.

 

Tenor

In dem Ermittlungsverfahren gegen (...)

wegen

Verdachts der unerlaubten Veranstaltung eines Glückspiels,

hier: Beschwerde gegen Anordnung der Durchsuchung,

hat die 3. Strafkammer des Landgerichts Kassel auf die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Korbach vom 15.03.2005 (...) beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Korbach vom 15.03.2005 (8863 Js 5972/05 - 4 Gs) aufgehoben.

2. Die beschlagnahmten Gegenstände und Beweismittel aus der Durchsuchung vom 04.05.2005 sind an den Beschuldigten herauszugeben.

 

Sachverhalt

(vgl. Entscheidungsgründe)

Entscheidungsgründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet, sodass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die im Rahmen der Durchsuchung am 04.05.2005 in den Räumen des Beschuldigten (...) und den Geschäftsräumen der (....) sichergestellten Gegenstände herauszugeben sind.

Denn zum Zeitpunkt des Durchsuchungsbeschlusses am 15.03.2005 sowie zum Zeitpunkt der Durchsuchung am 04.05.2005 lagen die Voraussetzungen für eine Durchsuchung im Sinne von § 102 StPO bzw. der Beschlagnahme gemäß § 94 StPO nicht vor.

Für jede Durchsuchung und Beschlagnahme ist die Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen und nicht nur straflos vorbereitet worden ist, wobei hierfür zureichende tatsächliche Anhaltspunkt vorliegen müssen (Bundesverfassungsgericht, NJW 1991, Seite 690).

Nach Auflassung der Kammer ist jedoch vorliegend ein Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung - einzig kommt hier allenfalls der Straftatbestand der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels gem. § 284 StGB in Betracht - nicht gegeben. Denn § 284 StGB ist nach Auffassung der Kammer, jedenfalls soweit er - wie vorliegend - die in Deutschland stattfindende Vermittlung von Sportwetten eines in einem anderen europäischen Mitgliedstaat ansässigen und dort konzessionierten Wettveranstalters erfasst (der Beschuldigte vermittelt in den vorgenannten Geschäftsräumlichkeiten die Sportwetten für ein in Österreich ansässiges und dort konzessioniertes Sportveranstaltungsunternehmen), nicht mit Europarecht vereinbar und deshalb nicht anzuwenden.

Denn ein derartiges strafbewährtes Verbot stellt für einen in einem anderen europäischen Mitgliedstaat ansässigen Anbieter von Sportwetten sowie für den Vermittler dieser Sportwetten im Inland eine Beschränkung der Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit nach den Artikeln 43 und 49 EG dar, weiche nach der Rechtsprechung des EUGH, insbesondere der so genannten "Gambelli-Entscheidung" (EuGH, Urteil vom 06.11.2003 - Rs.C-243/01) nur zulässig ist, wenn sie

a) auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses gestutzt ist,

b) geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten,

c) nicht Ober das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziele erforderlich ist und

d) in nicht diskriminierender Weise angewandt wird.Vorliegend kann letztlich zum einen dahingestellt bleiben, ob die Ziele des § 284 StGB und des HessSpW/LottoG letztlich wirklich zwingenden Allgemeininteressen dienen sollen, etwa den in § 1 des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland aufgeführten Zielen einer kohärenten und systematischen Begrenzung der Wetttätigkeiten, und ob ausschließlich als "erfreuliche Nebenfolge" ein erheblicher Teil der Einnahmen aus Glücksspielen für gemeinnützige Zwecke verwendet wird bzw. in den Staatshaushalt fließt. Zum anderen kann letztendlich dahingestellt bleiben, ob die Strafvorschrift überhaupt geeignet ist, das verfolgte Ziel zu gewährleisten, dass sie nur im Bezug auf nicht konzessionierte Wettanbieter dazu fuhrt, Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern.

Jedenfalls ist die Strafvorschrift des § 284 StGB nach Auffassung der Kammer zur Erreichung der zwingenden Aligemeininteressen nicht erforderlich und daher jedenfalls unverhältnismäßig.

Denn Mitgliedsstaaten sind nach der Rechtsprechung des EuGH verpflichtet, dass für die Beschränkung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit mildeste (geeignete) Mittel zu wählen, so dass eine Beschränkung unzulässig ist, sofern das zwingende Allgemeininteresse genauso wirksam durch eine Maßnahme verwirklicht werden kann, die etwa den freien Dienstleistungsverkehr weniger beschränkt.

Diesen Anforderungen genügt § 284 StGB indes nicht, da ohne weiteres andere, die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit weniger einschränkende, gleichfalls geeignete Mittel denkbar und umsetzbar sind, die Tätigkeit der Vermittler von

in einem anderen europäischen Mitgliedstaat konzessionierten Sportwettenanbieter zu kontrollieren und hierbei die Verbraucher und die öffentliche Sicherheit in Deutschland auereichend zu schützen.

Hierbei kommen insbesondere die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens, Zuverlässigkeitsüberprüfungen, Hinterlegung von Sicherheiten (wie in Österreich), Informationspflichten, Missbrauchsregelungen und Überprüfungen wie in anderen örtlich überwachten Wirtschaftsbereichen als einzelne oder kombinierte Maßnahmen in Betracht.

Insbesondere ist nicht erkennbar, dass mit den Mitteln des öffentlichen Rechts private Wettvermittler zum Schutz der Bevölkerung nicht ausreichend überwacht werden könnten, zumal dieses bereits bei privaten Buchmachern im Pferdewettwesen seit Jahren mit Erfolg im Wege eine Zuverlässigkeitskontrolle durchgeführt wird.

In diesem Zusammenhang ist ferner zu bedenken, dass die im europäischen Ausland konzessionierten Anbieter dort möglicherweise bereits geprüft und kontrolliert werden, so dass sich Beschränkungen bei gleichwertiger Kontrolle des Wettanbieters in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat erübrigen könnten.

Schließlich geht die derzeitig in § 284 StGB festgesetzte Strafdrohung in Fällen der vorliegenden Art (Konzession des Anbieters im europäischen Ausland und gegebenenfalls dortige Überwachung) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH nach Auffassung der Kammer weit über das zur Betrugsbekämpfung Erforderliche hinaus und stellt eine unverhältnismäßige Sanktion dar (vgl. Urteil vom 06.11.2003 - Rs.C-243/01).

Nach alledem ist die durch § 284 StGB stattfindende Beschränkung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit in diesem Maße nicht erforderlich und insgesamt unverhältnismäßig, so dass es auf die Frage, ob sich ein privater Vermittler von Sportwetten zunächst auf den Verwaltungsrechtsweg verweisen lassen muss und seine Tätigkeit bis dahin nicht ausüben darf, letztendlich nicht mehr ankommt.Da die Strafbarkeit des § 284 StGB in den Fällen der vorliegenden Art keine zulässige Beschränkung der im europäischen Recht festgesetzten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit darstellt, darf sie wegen Verstoßes gegen vorrangiges Europarecht nicht angewendet werden. Denn nationale Behörden und Gerichte haben dieses bei ihrer Tätigkeit und bei ihrer Entscheidung unmittelbar zu berücksichtigen.

Daraus folgt, dass ein Anfangsverdacht einer Straftat nach § 284 StGB vorliegend entfällt und die Voraussetzungen für die Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme der Gegenstände nicht vorlagen. Aufgrund dessen war der angefochtene Beschluss letztlich auf die Beschwerde des Beschuldigten aufzuheben und die Gegenstände an den Beschuldigten herauszugeben.