Zulässigkeit von Sportwetten
Leitsatz
1. Die Zulässigkeit von privaten Sportwetten wirft eine Vielzahl von rechtlichen Fragen auf.
2. Keinesfalls kann von einer "sicheren Einschätzung" der Rechtslage ausgegangen werden. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.2005, 1 BvR 223/05, in dem die Anwendbarkeit von § 284 StGB aus europarechtlichen Gründen für zweifelhaft gehalten wird.
Tenor
In der Verwaltungsrechtssache (...)
wegen Untersagung von Oddset-Sportwetten und Zwangsgeldandrohung; hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat das Verwaltungsgericht Stuttgart (...) beschlossen:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen Nr. 1.1 der Bescheide der Antragsgegnerin vom
03.02.2005 wird wiederhergestellt und gegen Nr. 1.3 der Bescheide angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Sachverhalt
(vgl. Entscheidungsgründe)
Entscheidungsgründe
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragssteiler gegen die Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung von Oddset-Sportwetten in den Erdgeschossräumen des Gebäudes (...) (Nr. 1.1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 03.02.2005) wiederherzustellen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Androhung eines Zwangsgeldes sowie unmittelbaren Zwangs (Nr. 1.3 des Bescheids) anzuordnen, ist zulässig (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nrn. 3 und 4, Abs. 5 S. 1 VwGO, § 12 LVwVG) und begründet.
Das private Interesse der Antragsteller, einstweilen von Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der Verfügung. Denn bei der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens bezüglich der - unter ausreichender Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkelt (§ 80 Abs. 3 VwGO) erfolgten - Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung von Oddset-Sportwetten offen.
Bei dieser Sachlage tritt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug gegenüber dem gegenläufigen privaten Interesse zurück. Der vorliegende Fall wirft insbesondere im Hinblick auf die europarechtlichen Einflüsse eine Vielzahl schwieriger Rechtsfragen auf, die auch zum heutigen Zeitpunkt sowohl obergerichtlich als auch höchstrichterlich nur vereinzelt und lediglich in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden sind und daher einer vertiefenden und abschließenden Prüfung im Widerspruchs- und im gerichtlichen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen.
Zur Darstellung und Begründung im Einzelnen verweist das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Begründung des Beschlusses vom 15.10.2003 Az.: 5 K 2107/03, welche (abgesehen von dem dort aufgeworfenen Problem der räumlichen Reichweite einer Gewerbeerlaubnis der DDR zum Veranstalten von Sportwetten) auch den sich vorliegend ergebenden Fragenkomplex erfasst.
Eine Klärung dieser offenen Rechtsfragen ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch nicht durch die Beschlüsse des VGH Baden-Württemberg vom 12.01.2005 (Az.: 6 S 1287/04, 6 S 1288/04) erfolgt.
Keinesfalls kann von einer "sicheren Einschätzung" der Rechtslage ausgegangen werden. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.2005, 1 BvR 223/05, in dem die Anwendbarkeit von § 284 StGB aus europarechtlichen Gründen für zweifelhaft gehalten wird.
Bezüglich der gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit des § 284 StGB wird in Absatz 33 und 34 des genannten Beschlusses Folgendes ausgeführt:
"Angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache "Gambelli" (Urteil vom 6. November 2003) und ihrer Rezeption durch Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 52. Aufl., 2004, § 284 Rn. 7 und 11; Kühl, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 25. Aufl., 2004, §284 Rn. 12; E-ser/Heine, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 26. Aufl., 2001, §284 Anm. IX; Landgericht Hamburg, Beschluss vom 12. November 2004 -629 s 56/04 -, NStZ-RR 2005, S. 44; Landgericht München I, Beschluss vom 27. Oktober 2003 -5 Qs 41/03 -, NJW2004, S. 171; Landgericht Wuppertal, Beschluss vom 17. August 2004 - 30 Qs 3/04 -; Landgericht Baden-Baden, Beschluss vom 2. Dezember 2004 -2 Qs 157/04 -; Amtsgericht Heidenheim, Urteil vom 19. August 2004 - 3 Ds 42 Js 5187/03 - AK 424/03 -, JURIS; Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 18. Januar 2005 - 3 MB 80/04 -; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - BS 28/04 -; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 9. Februar 2004 -11 TG 3060/03 -, GewArch 2004, S. 153) könnten erhebliche Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit des § 284 StGB auch nicht ohne Verstoß gegen das Willkürverbot ausgeschlossen werden.Die Entscheidung des Europäischen Gerichthofs betrifft nicht nur die europarechtliche Zulässigkeit mitgliedstaatlicher Glücksspielmonopole, sondern stellt auch die Frage, ob deren Strafbewehrung am Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts scheitert. Die Vorlage zum Europäischen Gerichtshof in der Sache "Gambelli" erfolgte nämlich in einem Strafverfahren, und die Prüfung der Vereinbarkeit mit gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten bezieht sich ausdrücklich auf Vorschriften, nach denen in Italien unter anderem die Vermittlung von Wetten ohne die nach anderen Rechtsvorschriften erforderliche Genehmigung unter Strafe gestellt ist (vgl. Rn. 9 des Urteils vom 6. November 2003). Die Beschränkung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie die Anforderungen einer möglichen Rechtfertigung werden gerade mit Blick auf mitgliedstaatliche Strafvorschriften gewürdigt und den nationalen Gerichten die Prüfung auferlegt, ob eine Bestrafung einer Person, die Wetten an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Buchmacher vermittelt, eine unverhältnismäßige Sanktion darstellt (vgl. Rn. 44 und 50 sowie Rn. 58 f. und 72 des Urteils vom 6. November 2003).
Zudem hält der Europäische Gerichtshof im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung die Erforderlichkeit einer Strafsanktion unter anderem auch dann für überprüfungsbedürftig, wenn der Leistungserbringer, an den vermittelt wird, im Mitgliedstaat der Niederlassung einer Kontroll- und Sanktionsregelung unterliegt (vgl. Rn. 73 des Urteils vom 6. November 2003)."
Das Bundesverfassungsgericht geht sogar soweit anzunehmen, dass angesichts der Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren die Konformität der deutschen Rechtslage mit Gemeinschaftsrecht kaum ohne eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof festgestellt werden könnte.
Deshalb ist im vorliegenden Fall, in welchem die angefochtenen Verfügungen auf der Strafbarkeit des untersagten Verhaltens gemäß § 284 StGB basieren, mehr oder weniger offen.
Im Rahmen der gebotenen Abwägung der im vorliegenden Fall berührten Interessen unter Berücksichtigung der Folgen, die sich voraussichtlich an die Gewährung oder Versagung des beantragten vorläufigen Rechtsschutzes knüpfen würden.
Es ist für die Kammer weiter von Bedeutung, dass bei Vollziehung der Verfügungen die Gefahr einer erheblichen und irreparablen Grundrechtsverletzung der Antragsteller besteht. Durch die Vollziehung der angefochtenen Verfügungen würde dem im Aufbau begriffenen Unternehmen der Antragsteller die wirtschaftliche Grundlage entzogen und es bestünde die Gefahr, dass die Antragsteller in einem Umfang Einkommensverluste erleiden, dass von einer unzumutbaren, auch bei nachträglicher Aufhebung der Verfügungen nicht mehr rückgängig zu machenden Beeinträchtigung ihrer grundrechtlichen Belange aus Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG ausgegangen werden muss. Auch daher misst die Kammer dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragsteller höheres Gewicht bei als dem öffentlichen Interesse in erster Linie an der Eindämmung der Veranstaltung von Glücksspielen verbundenen Gefahren (dazu ausführlich VG Stuttgart, Beschl. v. 15.10.2003, Az.: 5 K 2107/03).
Durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Untersagung der Veranstaltung von Oddset Sportwetten liegen die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen (§ 2 LVwVG) nicht vor, weswegen auch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die angedrohten Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung anzuordnen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert ist nach der Bedeutung der Sache für die Antragsteller bemessen (§§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 63 Abs. 2 S. 1 GKG). Da mit der Untersagungsverfügung die Fortführung des Gewerbebetriebs der Antragsteller in Frage gestellt wird, orientiert sich die Kammer an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 07./08.07.2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen (Nr. 54.2.1). Der danach - in Ermangelung von Anhaltspunkten für einen erwarteten oder erzielten Gewinn - anzusetzende Betrag von 15.000,00 EUR je Antragsteller ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.