Vermittlung von Sportwetten

Verwaltungsgericht Potsdam

Beschluss v. 11.09.2006 - Az.: 3 L 312/06

Leitsatz

1. Das brandenburgische Sportwettenrecht verstößt gegen EU-Recht.

2. Entgegen dem OVG NRW (Beschl. v. 28.06.2006 - Az.: 4 B 961/06) existiert kein allgemeines Prinzip der Rechtssicherheit, dass die Rechtsfolgen einer Kollision mit höherrangigem Recht beschränkt, um unerträgliche Konsequenzen einer sonst eintretenden Regelungslosigkeit zu vermeiden. 3. Das Verbot, private Sportwetten an im EU-Ausland konzessionierte Anbieter zu vermitteln, ist daher rechtswidrig.

 

Tenor

In dem Verwaltungsgerichtlichen Verfahren (...)

wegen Untersagung der Vermittlung von Sportwetten

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Potsdam am 11. September 2006 (...) beschlossen:


1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 11. Mai 2006 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 5. Mai

2006 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7500,- Euro festgesetzt.

 

Sachverhalt

(vgl. Entscheidungsgründe)

Entscheidungsgründe

Der dem Tenor entsprechende Antrag ist zulässig und begründet.

Die im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung und dem privaten Interesse des Antragstellers, von einer sofortigen Durchsetzung verschont zu bleiben, geht zu Gunsten des Antragstellers aus. Denn bei der im vorliegenden Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung bestehen schwerwiegende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung.

Nach derzeitiger Erkenntnislage findet sich wegen des Anwendungsvorrangs der Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts keine taugliche Ermächtigungsgrundlage, die ein ordnungsbehördliches Einschreiten des Antragsgegners rechtfertigt.

Denn es spricht alles dafür, dass die gewerbliche Tätigkeit des Antragstellers, der in seinen Büroräumen für einen maltesischen Wettanbieter, einer in Malta konzessionierten Fa. Cashpoint (Malta), Ltd. Sportwetten vermittelt, von der nach Art. 12 Grundgesetz (GG) gewährleisteten Berufsfreiheit erfasst wird und daher ohne europa- und verfassungsrechtlich zulässige gesetzliche Beschränkung als erlaubt anzusehen ist.

Die allein als Rechtsgrundlage in Frage kommende und vom Antragsgegner benannte ordnungsrechtliche Generalklausel des § 13 Abs. 1 Ordnungsbehördengesetz (OBG) i.V.m. § 284 Strafgesetzbuch (StGB) ist nicht erfüllt.

Es kann dahinstehen, ob die hier streitige Vermittlung von Sportwetten in Form der ODDSET-Wetten als Glücksspiel im Sinne des § 284 Abs. 1 des StGB angesehen und das Bereitstellen von Angeboten zum Abschluss von Wettverträgen durch die Antragstellerin in Brandenburg als Verwirklichung eines Teils der strafbaren Handlung gemäß § 9 StGB gewertet werden können und damit als strafbare Beihilfehandlungen zur Verwirklichung des Straftatbestandes des verbotenen Glücksspiels (§§ 284 Abs. 1, 27

Abs. l StGB) zu beurteilen sind.

So aber OVG Münster, Beschluss v. 28. Juni 2006 - 4 B 961/06 -, zit. nach Juris; VG Köln, Beschluss v. 14. Juli 2006 - 1 L 967/06 -, S. 3 des Abdrucks; VG Arnsberg - 1 L 379/05 -, S. 2 zit. nach Juris; VG Aachen, Beschluss v. 12. November 2004 - 3 L - 17/04 -, S. 3, m.w.N. zit. nach Juris.

Abgesehen davon, dass an einer Strafbarkeit des bloßen Vermittelns von Sportwetten wegen des im Strafrecht vorherrschenden Bestimmtheitsgebotes und des Analogieverbotes Zweifel bestehen, da diese Handlungsform in § 284 StGB nicht genannt ist, stehen jedenfalls der Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die allein das Ergreifen ord nungsrechtlicher Maßnahmen nach § 13 Abs. 1 OBG rechtfertigen würde, gewichtige Gründe entgegen.

Ein strafbewehrtes Verbot der privaten Veranstaltung von Sportwelten verstößt nämlich ebenso wie das strafbewehrte Erfassen des bloßen Vermittelns durch Private und das damit einhergehende, staatliche Sportwettenmonopol in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung gegen die durch Art. 43 und Art. 49 EG-Vertrag gewährleistete Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit.

Zum gleichen Ergebnis kommen: VG Köln, a.a.O. S. 4; VG Arnsberg, a.a.O. S. 2; VG Minden, Beschluss vom 26. Mai 2006 - 3 L 249/06 - S. 3; Hess. VGH, Beschluss vom 9. Februar 2004 - 11 TG 3060/03 -, GewArch 2004 S. 153; OVG Münster, a.a.O., S. 5 aber mit anderer Schlussfolgerung.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden,

vgl. insbesondere Urteil vom 6. November 2003 - Rs. C -243/01- (Gambelli), in: GewArch 2004, S. 30 ff.,

dass nationale Regelungen, die strafbewehrte Verbote des Sammelns, der Annahme und der Übertragung von Sportwetten enthalten, Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 43 und 49 EG-Vertrag darstellen, wenn der betreffende Mitgliedstaat - was vorliegend der Fall ist - keine Genehmigung erteilt. Danach stellen Regelungen des nationalen Rechts, die die Möglichkeit für Kapitalgesellschaften, auf dem

Markt eines anderen Mitgliedstaates eine Konzession zur Durchführung von Sportwetten zu erhalten, praktisch ausschließen, eine Beschränkung der dem ausländischen Unternehmen durch Art. 43 und Art. 48 des EG-Vertrages gewährleisteten Niederlassungsfreiheit auch dann dar, wenn diese Beschränkung unterschiedslos allen Kapitalgesellschaften mit Sitz in dem betreffenden oder in einem anderen Mitgliedstaat auferlegt ist (Rdnr. 48).

Weiterhin geht der EuGH von einem Eingriff in die einer ausländischen Gesellschaft nach Art. 49 und Art. 55 i.V.m. Art. 48 des EG-Vertrages zukommenden Dienstleistungsfreiheit durch das rechtliche Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in einem Mitgliedstaat aus (Rdnr. 52 ff). Die Einfuhr von Werbematerial und Losen in einen Mitgliedstaat zu dem Zweck, die in diesem Staat wohnenden Personen an einer in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten

Wette teilnehmen zu lassen, zählt - so der EuGH - zu den Dienstleistungen im Sinne von Art. 49 und 50 des EG-Vertrages.

Entsprechend gehört eine Tätigkeit, die darin besteht, die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates an in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten Lotterien teilnehmen zu lassen, auch dann zu den Dienstleistungen, wenn es bei den Wetten um in dem erstgenannten Mitgliedstaat veranstaltete Sportereignisse geht. Darüber hinaus umfasst der freie Dienstleistungsverkehr nicht nur die Freiheit des Leistungserbringers - der wie hier die Fa. Cashpoint Ltd.- seinen Sitz in einem Mitgliedstaat hat, Leistungsempfängern in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen anzubieten und zu erbringen, sondern auch die Freiheit, als Leistungsempfänger - hier der Antragsteller - von einem Leistungserbringer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat angebotene Dienstleistungen zu empfangen oder in Anspruch

zu nehmen, ohne durch Beschränkungen beeinträchtigt zu werden (Rdnr. 55).

Allerdings erkennt der EuGH grundsätzlich das Bedürfnis der Mitgliedstaaten an, die Veranstaltung von Wetten und Glücksspielen zu beschränken oder sogar zu verbieten.

Beschränkungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sind aber nach den weiteren Ausführungen des EuGH insbesondere dann, wenn die an die Teilnehmer und Vermittler gerichteten Verbote strafbewehrt sind, u. a. nur aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt

(Rdnr. 60 ff). Sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (Rdnr. 65).

Auf jeden Fall müssen sie in nicht diskriminierender Weise angewandt werden. Zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die Beschränkungen

der Spieltätigkeiten rechtfertigen können, gehören danach u. a. der Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen. Der EuGH weist ausdrücklich daraufhin, dass die einschränkenden Regelungen des jeweiligen nationalen Rechts in ihren konkreten Anwendungsmodalitäten in jedem Fall kohärent und systematisch auf das Ziel ausgerichtet sein müssen, die Gelegenheit zum Spiel zu vermindern. Die Finanzierung sozialer Aktivitäten durch Einnahmen aus monopolisierten staatlichen Veranstaltungen oder mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten privaten Spielen darf nur nützliche Nebenfolge, aber nicht der eigentliche Grund der restriktiven Politik sein (Rdnr. 62).

Diese Anforderungen, die die Kammer zugrundelegt, erfüllt das Lotterie- und Sportwettengesetz des Landes Brandenburg -LottGBbg - in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung nicht. Ebenso wie in Nordrhein-Westfalen und in Bayern schreibt dieses Gesetz ein staatliches Monopol für die Veranstaltung von Wetten fest, und zwar zugunsten einer juristischen Person des privaten Rechts, deren Anteile dem Land Brandenburg gehören (§ 4 Abs. 3 des LottGBbg).

Allerdings regelt das Gesetz nicht hinreichend klar und deutlich die Reichweite des staatlichen Monopols insofern, als der generelle Erlaubnistatbestand des § 3 LottGBbg nur die öffentliche Lotterie und die öffentliche Ausspielung, nicht aber die Sportwetten als erlaubnispflichtige Tätigkeiten benennt. Nur mittelbar kann aus § 8a LottGBbg geschlossen werden, dass auch Wettunternehmen für Sportwetten einer Konzession bedürfen und diese wegen des Verweises auf die entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 3 in § 8a Abs. 1 Satz 2 LottGBbg nicht privaten Veranstaltern und daraus schlussfolgernd privaten Vermittlern erteilt werden darf.

Im Übrigen enthält das brandenburgische Lotteriegesetz außer Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen keine echten materiell-rechtlichen Regelungen, die den oben ausgeführten europarechtlichen Anforderungen an eine zulässige und verhältnismäßige Beschränkung der Veranstaltung und des Vermittelns privater Sportwetten gerecht werden könnten. Insofern schließt sich das Gericht den Ausführungen und verfassungsrechtlichen Bewertungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Prüfung der dem brandenburgischen Lotteriegesetz entsprechenden bayerischen Vorschriften an.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01-, in: NJW 2006, S. 1261.

In dieser Entscheidung hat das BVerfG die bayerischen Vorschriften zum staatlichen Wettmonopol in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung - insbesondere wegen der fehlenden Sicherstellung einer effektiven Suchtbekämpfung - auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Vorschriften des von sämtlichen Ländern ratifizierten Lotteriestaatsvertrages als unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit gewürdigt. Dabei hat es auch bestätigt, dass die Unverhältnismäßigkeit der gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols den Ausschluss der Vermittlung privater Wetten erfasse. Das BVerfG hat ausdrücklich betont, dass die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts zu den vom EuGH formulierten Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts

parallel liefen und daher der mit dem Wettmonopol einhergehende Ausschluss einer gewerblichen Veranstaltung durch private Wettunternehmen sowie der Vermittlung von Wetten weder mit Art. 12 Abs. 1 GG noch mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar seien.

Im Unterschied zu den Handlungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene, wonach das BVerfG in Anwendung des § 95 Abs. 3 BVerfGG unter gleichzeitiger Vorgabe bestimmter Voraussetzungen dem Gesetzgeber Übergangsfristen zur Behebung des verfassungswidrigen Zustandes einräumt, sind dem Recht der Europäischen Gemeinschaften und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes solche Übergangsfristen fremd. Der EuGH geht von einem uneingeschränkten Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts aus, der keinem Vorbehalt zugunsten einzelner Mitgliedsstaaten - auch nicht in zeitlicher Hinsicht - unterliegt und von nationalen. Gerichten wie Behörden strikt einzuhalten ist.

Auch das BVerfG geht in seiner Rechtsprechung von einem strikten Anwendungsvorrang des europäischen Gemeinschaftsrechts aus, dessen Rechtfertigung es in Art. 23 GG (ehemals Art. 24 GG) sieht. Dieser besage bei sachgerechter Auslegung nicht nur, dass die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtun-

gen zulässig sei, sondern auch, dass die Hoheitsakte ihrer Organe, u. a. auch Urteile des Europäischen Gerichtshofs, vom ursprünglichen Hoheitsträger anzuerkennen seien.

Vgl. BVerfG Beschluss vom 9. Juni 1971, 2 BvR 225/69, Rdnr. 92 zit. nach Juris.

Daraus folgt nach dem BVerfG, dass den nationalen Gerichten ein umfassendes Prüfungsund Verwerfungsrecht im Falle von Kollisionen zusteht,

vg. BVerfG a.a.O., Rdnr. 94

was bedeutet, dass dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehendes nationales Recht nicht angewendet werden darf.

Vgl. insbesondere EuGH, Urt. v. 9. März 1978 - Rs. 106/77 (Simmenthal) - Leitsatz 3, zit. nach beckonline; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Kommentar, 2003, Rdnr. 42,

46, 51 m.w. Rechtsprechungsnachweisen.

Danach ist die vom BVerfG in dem genannten Urteil vom 28. März 2006 festgesetzte Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2007, in der das Sportwettenrecht - ausdrücklich im Hinblick auf das bayerische Staatslotteriegesetz ausgesprochen - im Einklang mit dem Grundgesetz neu zu regeln ist, aber in der die bisherige Rechtslage bei Einleitung eines Bündels von staatlichen Mindestmaßnahmen zur Bekämpfung der Wettsucht und zur Begrenzung der Wettleiddenschaft anwendbar bleibt, auf den hier festgestellten Verstoß gegen EG-Recht nicht übertragbar.

Ein Widerspruch zum Urteil des BVerfG entsteht dadurch nach Auffassung der Kammer nicht, da das BVerfG zwar von parallelen Anforderungen des Grundgesetzes und

des Gemeinschaftsrechts ausgeht, aber zugleich zu erkennen gibt, dass es zur Entscheidung über die Frage der Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Norm des einfachen Rechts mit Bestim mungen des Gemeinschaftsrechts nicht zuständig sei (Urteil vom 28. März 2006, a. a. O., Rdnr. 77).

Insoweit kann der Hinweis des BVerfG auf eine weiterhin mögliche ordnungsrechtliche Unterbindung privater Sportwetten in der Übergangszeit (a. a. O. Rdnr. 158) verbindlich nur vorbehaltlich entgegenstehenden Gemeinschaftsrechts verstanden werden.

Schließlich liegt auch eine solche Auslegung nahe, wonach das BVerfG schon im Ansatz ein ordnungsrechtliches Einschreiten nur in den Fällen für gegeben hält, in denen sich die Vermittlung von Sportwetten nicht auf ein im EU-Ausland lizenziertes Unternehmen beschränkt.

Es kann daher im Ergebnis dahinstehen, ob inzwischen im Land Brandenburg die vom BVerfG genannten Vorkehrungen zur tatsächlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols als Voraussetzung einer befristeten Weitergeltung der alten Rechtslage getroffen worden sind. Jedenfalls wären lediglich tatsächliche Maßnahmen - so effizient sie im Einzelnen auch sein mögen - wegen des aus dem Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts folgenden Gebots, entgegenstehendes nationales Recht der Mitgliedstaaten unangewendet zu lassen, im Hinblick auf das bestehende Regelungsdefizit unerheblich.

So im Ergebnis auch HessVGH, a.a.O., S. 154; VG Köln, a.a.O., S. 6 ff des Abdrucks; VG Arnsberg, a.a.O., S. 4 Rdnr. 16, VG Minden, a.a.O., S. 9 Rdnr 56 ; allg.

zur Normverwerfungspflicht, Schroeder, a.a.O. Rdnr. 45 f.

Eine auch nur temporäre Durchbrechung des Geltungsvorrangs der Art. 43 und 49 des EG-Vertrages wäre schon wegen der damit konkludent ausgesprochenen Unwirksamkeitserklärung der unmittelbar geltenden gemeinschaftsrechtlichen Normen und der fehlenden Befugnis der nationalen Gerichte hierzu rechtlich bedenklich.

Die vom OVG Münster im Beschluss vom 28. Juni 2006 (a. a. O.) zitierte Entscheidung des EuGH Urt. v. 30. April 1996 - Rs. C 194/94 - (CIA Security International)

betrifft offensichtlich einen anderen Sachverhalt, und kann daher nicht zur Rechtfertigung einer Ausnahme vom Anwendungsvorrang im Bereich der Sportwetten herangezogen werden.

ebenso VG Köln, a.a.O., S. 8

Darüber hinaus ist vorliegend weder ersichtlich noch glaubhaft vom Antragsgegner dargetan, dass die Beachtung der - dem Grunde nach gemeinschaftswidrigen - nationalen Vorschriften zum Schutze des staatlichen Sportwettmonopols zur Vermeidung einer inakzeptablen Gesetzeslücke notwendig ist.

So aber, OVG Münster, a.a.O., S. 7 des Abdrucks Rdnr. 48.

Denn eine Gefährdung wichtiger Allgemeininteressen, die schwerer wiegt als die Beeinträchtigung der durch die jeweils verletzte europarechtliche Vorschrift geschützten Rechtsgüter und nur durch eine befristete Weitergeltung der gemeinschaftswidrigen nationalen Norm abgewendet werden könnte, liegt nach Ansicht der Kammer nicht vor. Die strengen Anforderungen für einen Nachweis der Gefahren sind auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass der EuGH bereits entschieden hat, dass Eingriffe in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nur dann gerechtfertigt sind, wenn diese Eingriffe durch tatsächliche Untersuchungen über die Gefahren und die Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Gegenmaßnahmen begleitet worden sind

vgl. EuGH - Urteil vom 13. November 2003 - Rs. C-42/02 (Lindmann) zit. nach beck-online.

Eine nachhaltige Gefährdung des Sozialgefüges aufgrund einer unerträglichen Steigerung der Spielsucht und eines enormen Anstiegs der Begleit- und Folgekriminalität ist aber nicht abzusehen, da schon vom Ansatz her nicht erkennbar ist, weshalb von privat veranstalteten, und vermittelten Sportwetten größere Gefährdungen ausgehen sollten als von solchen staatlicher Veranstalter und Vermittler. Die Annahme von Gefährdungen der genanten Art hängt nicht davon ab, wem die Spielgewinne zufließen, sondern davon, welche Vorkehrungen zur Vermeidung übermäßiger Spielverluste getroffen worden sind. Zudem ist gerichtsbekannt, dass die staatlichen Monopolunternehmen des Lotto- und Totoblocks jedenfalls bis in die jüngste Vergangenheit insbesondere durch bundesweite Fernsehwerbung massiv für sich geworben, sich mithin in ihrem Verhalten gerade nicht bzw. nicht wesentlich von privaten Wettanbietern unterschieden haben.

Schließlich ist darauf zu verweisen, dass auch in der Vergangenheit - nicht zuletzt im Hinblick auf die seinerzeit anstehende Entscheidung des BVerfG - private

Wettanbieter und ihre nicht weniger offensiven Werbemaßnahmen geduldet worden sind, ohne dass es dadurch zu unerträglichen Konsequenzen für die Allgemeinheit gekommen wäre.

Bislang sind weder eine unerträgliche Zunahme der Spielsucht noch eine fehlende Gewährleistung des Verbraucherschutzes festgestellt und belegt, so dass das Erfordernis erheblicher konkreter Gefahren für die Allgemeinheit für die Erwägung einer Nichtbeachtung des Anwendungsvorrangs europäischen Rechts - wenn überhaupt eine Durchbrechung dieses Grundsatzes in Frage kommt - nicht in Betracht kommen kann.

Allein die Tatsache, dass eine bloß vorübergehende Legalisierung der Tätigkeit von privaten Veranstaltern und privaten Vermittlern bis zu einer europa- und verfassungskonformen Neuregelung des staatlichen Sportwettenmonopols später möglicherweise umfangreiche ordnungsrechtliche Maßnahmen für ein Vorgehen gegen private Anbieter erforderlich machen könnte, reicht für die Annahme eines konkreten Gefährdungstatbestandes nicht aus.

Bei dieser Rechtslage fällt auch eine Interessenabwägung im Übrigen zugunsten des Antragstellers aus. Das sofortige Vollzugsinteresse an der Untersagung der privaten Vermittlung von Sportwetten bedarf im Hinblick auf die dargelegten Vorgaben des Gemeinschaftsrechts und des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Art. 12 GG einer besonderen Rechtfertigung. Insbesondere vor dem Hintergrund des nach Art. 19 Abs. 4 GG zu gewährleistenden effektiven Rechtsschutzes

vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2005- 1 BvR 223/05 -, in GewArch 2005. S. 246, 247

kann das Interesse an einer sofortigen Durchsetzung einer Untersagungsverfügung nicht auf die Verletzung einer Strafrechtsnorm gestützt werden, die derzeit wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden darf. Das sofortige Vollziehungsinteresse ist nur ausnahmsweise dann vorrangig, wenn es im konkreten Fall der Abwehr schwerwiegender konkreter Gefahren dient Solche konkreten, über den vermeintlichen Rechtsverstoß hinausgehende Gefahren für das Wohl der Allgemeinheit sind aber gerade - wie ausgeführt - nicht ersichtlich.

Es kommt hinzu, dass die untersagte Tätigkeit jahrelang hingenommen wurde und es schwer vermittelbar ist, dass nunmehr Gefahren vorhanden sein sollen, die auch nicht nur vorübergehend hingenommen werden können. Dies ist unabhängig davon anzunehmen, inwieweit die vom BVerfG angemahnten Maßnahmen u a. zur Aufklärung und Prävention, zur Reduzierung der Werbung und Beschränkung des Spielangebotes, die eine weitere Duldung des staatlichen Monopols überhaupt erst möglich machen sollen, konsequent und wirksam umgesetzt worden sind.

In diesem Zusammenhang kann auch da hinstehen, ob und inwieweit die von staatlichen Stellen im Land Brandenburg angekündigten Maßnahmen zur Einschränkung des Wettangebotes, des Vertriebs, der Werbung sowie zur Suchtprävention tatsächlich - wie von dem Antragsgegner behauptet - durch die staatliche

Land Brandenburg Lotto Gesellschaft mbH (LBL) umgesetzt worden sind.

Da dies der Antragsteller bestreitet, kann die zur Aufklärung erforderliche Beweisaufnahme wegen des summarischen Charakters des Eilverfahrens ohnehin allein einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Aber selbst wenn die Vorgaben, des BVerfG, deren Einhaltung die allein eine Weiterduldung des staatlichen Monopols in der jetzigen Ausgestaltung erlauben würden, im Land Brandenburg beachtet würden, käme es wohl - worauf der Antragsteller zu Recht hinweist -, nicht nur auf das Verhalten der LBL an. Es ist von einer bundesweiten Ausrichtung des staatlichen Wettmonopols auszugehen, denn die Lotteriegesellschaften der 16 Bundesländer werben und vertreiben ihre Produkte im ganzen Bundesgebiet.

Daher ist das Verhalten der Partnergesellschaften des deutschen Lotto- und Totoblocks der jeweiligen Lotteriegesellschaft des Landes zuzurechnen. Nicht zuletzt spricht auch das vom Antragsteller in das Verfahren eingeführte umfangreiche Material über Werbemaßnahmen dafür, dass bundesweit gesehen nicht von einer nachhaltigen Änderung des Markt- und Marketingverhaltens der Lotteriegesellschaften ausgegangen werden kann.

Im Rahmen der Interessenabwägung kann dem Antragsteller in Anbetracht der durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit der angeordneten Untersagung auch nicht zugemutet werden, sich um eine Konzession nach dem LottGBbg zu bemühen, da derartige Bemühungen aufgrund der derartigen gesetzlichen Ausgestaltung keinen Erfolg haben dürften.

Da wegen der durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung dem Widerspruch aufschiebende Wirkung zukommt, entfällt auch die Voraussetzung für die Androhung eines Zwangsmittels nach § 15 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Brandenburg (VwVG BB). Dahinstehen kann, ob das angedrohte Zwangsmittel schon allein deshalb unverhältnismäßig war, weil damit zugleich auch die Möglichkeit der zulässigen Benutzung des Sportwettgeräts zum Surfen im Internet unterbunden wurde.

Die Kostenentscheidimg beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52.Abs. l GKG, wobei sich die Kammer an Ziff. 54.l des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 anlehnt, wonach für eine Gewerbeerlaubnis mindestens 15.000 Euro anzusetzen sind. Wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens ist dieser Wert auf die Hälfte zu reduzieren.