Vermittlung von Sportwetten

Verwaltungsgericht Muenchen

Urteil v. 07.06.2006 - Az.: M 16 K 04.6138

Leitsatz

I. Bewilligungen aus dem EU-Ausland berechtigten im Freistaat Bayern nicht ohne weiteren anerkennenden Akt zum Veranstalten oder Vermitteln von Sportwetten und gelten grundsätzlich nicht als Erlaubnis nach § 284 StGB.

II. Der sich aus § 284 StGB ergebende Erlaubnisvorbehalt für das Veranstalten von Sportwetten ist europarechtskonform.

III. Die derzeitige Gesetzes- und Vollzugslage im Freistaat Bayern mit dem sich aus dem Staatslotterievertrag ableitbaren Staatsmonopol zum Veranstalten von Sportwetten ist europarechtswidrig.

IV. Es besteht kein spruchreifer Anspruch auf eine Genehmigung zum Veranstalten von Sportwetten, sondern nur ein Anspruch auf Neuverscheidung unter Berücksichtigung der Rechtsaufassung des Gerichts.

Tenor

In der Verwaltungsstreitsache (...) erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 16. Kammer (...) folgendes

Urteil:

I. Unter Aufhebung des Bescheids des Staatsministeriums des Innern vom 4. November 2004 wird der Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 28. April 2004 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu D und der Beklagte zu D zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

Sachverhalt

Die Klägerin bietet ihren Angaben zufolge gewerbsmäßig die Vermittlung und den Abschluss von Wetten aus Anlass sportlicher Veranstaltungen an, ist somit als Buchmacherin für Sportwetten tätig. Dabei hat sie ihren Sitz und die Geschäftsräume in der (...) in Österreich.

Dem Inhaber der Klägerin wurde mit behördlichem Bescheid des Amtes der Vorarlberger Landesregierung hierzu gemäß § 2 Abs. 1 und 2 sowie § 3 Abs. 5 des Gesetzes über den Abschluss und die Vermittlung von Wetten (Wettengesetz) des Landes Vorarlberg die hierzu notwendige Bewilligung ausgestellt. Die aktuelle Bewilligung vom 28. Juli 2003 wurde bis zum 31. Juli 2006 befristet. Entsprechend der Bedingung A.2. dürfen Wetten - soweit sich aus Bescheinigungen der Behörde gemäß § 4 des Wettengesetzes nichts anderes ergibt - nur an den dort aufgeführten Standorten abgeschlossen oder vermittelt werden.

Die Klägerin bietet ihren Angaben zufolge ihr Dienstleistungsangebot (Sportwetten) nicht nur Kunden in Österreich, sondern auch (binnen-)grenzüberschreitend an Kunden in Bayern an. Hierfür bedient sie sich u.a. der Hilfe von Annahmestellen vor Ort, bei denen Wettkunden online über das Internet Wetten mit der Klägerin abschließen können.

Mit Schreiben vom 28. April 2004 beantragte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten beim Bayerischen Staatsministerium des Innern,

der Klägerin eine Genehmigung zur Vermittlung und zur Veranstaltung von Sportwetten für das Land Bayern zu erteilen.

Für den Fall, dass das Bayerische Staatsministerium des Innern zu der Auffassung kommen sollte, dass neben der österreichischen Genehmigung keine weitere zusätzliche deutsche Genehmigung erforderlich sei, wurde um einen entsprechenden Bescheid gebeten. Hinsichtlich der Einzelheiten der Antragsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 28. April 2004 an das Bayerische Staatsministerium des Innern und die Ergänzung der Antragsbegründung vom 22. Juni 2004 verwiesen.

Am 4. November 2004 erließ der Beklagte durch das Bayerische Staatsministerium des Innern den gegenständlichen ablehnenden Bescheid:

Sowohl der Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in Bayern (Nr. 1), als auch der Antrag auf Feststellung, dass die Klägerin keiner Erlaubnis durch Behörden des Freistaates Bayern bedürfe (Nr. 2), wurden abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens wurden der Klägerin auferlegt und für den Bescheid eine Gebühr von 3.000 € festgesetzt (Nr. 3).

Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, dass das Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von privaten Sportwetten in Bayern verfassungsgemäß und auch europarechtskonform sei und daher schon grundsätzlich dem klägerischen Begehren auf Erteilung einer Genehmigung zur Vermittlung und zur Veranstaltung von Sportwetten nicht nachgekommen werden könne.

Im Übrigen sei eine österreichische Bewilligung zur Veranstaltung von Sportwetten in Bayern stets ohne erlaubnisrechtliche Bedeutung. So gehe auch das Amt der Vorarlberger Landesregierung davon aus, dass sich eine solche Bewilligung nur auf Standorte in Vorarlberg erstrecke. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheidsbegründung verwiesen.

Daraufhin erhob der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2004 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte - nach Korrektur in der mündlichen Verhandlung - :

I. Der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 4. November 2004 wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die österreichische Buchmacherlizenz der Klägerin auch für das Land Bayern gilt und insbesondere dazu berechtigt, über Wettannahmestellen Sportwetten an Kunden in Bayern anzubieten und mit diesen abzuschließen und dieses Angebot zu bewerben. Hilfsweise: Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Ergänzend wurde beantragt, den Beklagten zu verpflichten, es zu unterlassen, gegen die Klägerin und deren Annahmestellen verwaltungsrechtlich insbesondere wegen eines angeblichen Verstoßes nach § 284 StGB vorzugehen, wenn diese Sportwetten grenzüberschreitend von Österreich nach Bayern anbietet und solange diese im Besitz einer gültigen österreichischen Buchmachererlaubnis ist.

Zur Begründung der Klage wurde im wesentlichen ausgeführt, dass sich die Klägerin neben Art. 12 GG vor allem auf die für Sportwetten europarechtlich garantierte Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit berufe. Bestehende Regelungen im Sportwettenwesen, wie z.B. § 284 StGB, das Bayerische Staatslotteriegesetz oder der Staatslotterievertrag seien wegen Verstoßes gegen Art. 12 GG bzw. Art. 43 und Art. 49 EG verfassungswidrig bzw. gemeinschaftswidrig und daher nicht anwendbar. Die Klägerin habe ein Recht auf Teilhabe am deutschen Glücksspielmarkt. Daher sei der gegenständliche Bescheid rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Sie könne sich auf den Abwehrrechtscharakter des Art. 12 GG bzw. auf das Recht der Gewerbefreiheit gemäß § 1 GewO berufen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten vom 3. Dezember 2004, 4. Februar 2005 und 12. Mai 2005 verwiesen.

Mit Schreiben vom 15. Juli 2005 wurde seitens des Beklagten beantragt, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, dass das vorrangig gestellte Feststellungsbegehren wegen der Subsidiarität zur Verpflichtungsklage unzulässig sei, da im Rahmen der ursprünglich beantragten Erlaubnis inzident das Genehmigungserfordernis bereits festzustellen sei. Das Unterlassungsbegehren sei als vorbeugende Unterlassungsklage unzulässig, weil es an einem besonderen Rechtsschutzinteresse hierfür fehle. So sei es der Klägerin zumutbar und möglich, vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Mit Schreiben vom 26. Juli 2005 ergänzte der Beklagte seine Klageerwiderung. Es wurde ausgeführt, dass seitens des Freistaates Bayern keine Bindung an die Vorarlberger Bewilligung bestehe. So fehle es an einem Harmonisierungsakt.

Im Übrigen sei auch im harmonisierten Bereich eine Pflicht zur Anerkennung der Wirkung ausländischer Bewilligungen im Inhalt grundsätzlich nicht der Regelfall. Außerdem normiere § 284 StGB allgemein einen Erlaubnisvorbehalt in rechtlich nicht zu beanstandender Weise, da sich die Ausführungen des EuGH im Gambelli-Urteil auf Regelungen beziehen würden, die die Zulassung zum Glücksspielmarkt beträfen. § 284 StGB regle aber nicht die Zulassung zum Glücksspielmarkt an sich. So gehe der EuGH in der Gambelli-Entscheidung davon aus, dass sich Erlaubnisse des Herkunftslandes gegen gerechtfertigte Beschränkungen nicht durchsetzen könnten. Ein Automatismus derart, dass die Erlaubnis eines EU-Mitgliedstaates Tätigkeiten in anderen Staaten legalisiere, könne daher weder auf Art. 49 EG noch auf die Rechtsprechung gestützt werden. Zudem könne nicht außer Acht bleiben, dass die im Herkunftsstaat des Veranstalters erteilten Buchmachererlaubnisse nach Auskunft der jeweiligen Landesregierung nur die Tätigkeit in diesem Land, nicht aber die Vermittlung in und den Betrieb von Wettbüros in Bayern decke.

Hierauf erwiderte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 29. Juli 2005, dass das Erfordernis einer weiteren Genehmigung nicht gegeben sei, da bereits in Österreich eine ausreichende Kontroll- und Sanktionsregelung bestehe. Nach den einschlägigen österreichischen Gesetzen könne die Klägerin Verträge über Sportwetten auch von Kunden aus Deutschland über das Internet online annehmen und - wie im Sachverhalt des Gambelli-Urteils genannt - "einsammeln".

Der Abschluss und die Vermittlung von Wetten via Internet sei in dem vorgelegten Bewilligungsbescheid ausdrücklich geregelt.

Mit Schriftsatz vom 19. April 2006 ergänzte der Beklagte, dass dem klägerischen Begehren auch angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 nicht nachgekommen werden könne und die Klage daher abzuweisen sei. So habe das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass bis zu einer Neuregelung das Staatslotteriegesetz nach Maßgabe der Gründe weiter angewendet werden dürfe. So dürfe das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden. Das Verbot erfasse auch die Veranstaltung und Vermittlung von Wetten aufgrund von DDR-Erlaubnissen und in EU-Mitgliedstaaten erteilten Erlaubnissen.

Dies ergäbe sich aus dem klaren Wortlaut der Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts und entspreche auch der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungs- und Strafgerichte in Bayern. Auch die Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts sei ohne jeden Vorbehalt ergangen und damit ersichtlich als gemeinschaftskonform betrachtet worden. Eine abweichende Beurteilung durch Behörden und Gerichte sei auch mit der Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nicht in Einklang zu bringen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten, insbesondere der angekündigten Änderungen bei Oddset, wird auf den Schriftsatz vom 19. April 2006, die vorgelegte Pressemitteilung vom 4. April 2006 des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern an die Regierungen vom 4. April 2006 verwiesen.

Der Klägerbevollmächtigte ergänzte seine Begründung mit Schriftsatz vom 15. Mai 2006 angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts dahingehend, dass die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung nichts an der Gemeinschaftswidrigkeit der deutschen Rechtslage ändere. Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts sei ausschließlich das deutsche Verfassungsrecht und nicht das europäische Gemeinschaftsrecht gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 15. Mai 2006 verwiesen.

Am 7. Juni 2006 fand die mündliche Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München statt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten, insbesondere das Vorbringen des Klägerbevollmächtigten in rechtlicher Hinsicht und der Vorlage zahlreicher Gerichtsentscheidungen, Gutachten und Stellungnahmen wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten und die beigezogene Akte aus dem Verfahren M 16 K 04.4788 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist mit Ausnahme des Unterlassungsbegehren zulässig, aber nur teilweise erfolgreich.

Dem klägerischen Feststellungsbegehren kann nicht entsprochen werden, da die österreichische Buchmacherlizenz der Klägerin nicht auch für das Land Bayern gilt und insbesondere nicht dazu berechtigt, über hiesige Wettannahmestellen Sportwetten an Kunden in Bayern anzubieten, mit diesen abzuschließen und dieses Angebot zu bewerben.

Ebenso wenig hat die Klägerin einen Anspruch gegen den Beklagten, es zu unterlassen, solange die Klägerin im Besitz einer gültigen österreichischen Buchmachererlaubnis ist, gegen sie und deren Annahmestellen verwaltungsrechtlich vorzugehen, wenn diese Sportwetten grenzüberschreitend von Österreich nach Bayern anbietet.

Begründet ist jedoch das klägerische Begehren, dass der Bescheid des Beklagten vom 4. November 2004 wegen dessen Rechtswidrigkeit aufzuheben ist und der Beklagte über den Antrag der Klägerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden hat (§113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), da die Sache nicht spruchreif ist.

I.

Das klägerische Begehren mit den Anträgen vom 3. Dezember 2004 ist nach Auslegung durch das erkennende Gericht so zu verstehen, dass die unter

II. formulierte Feststellung vorrangig eingeklagt wird. Der Aufhebungsantrag unter I. ist nicht gänzlich isoliert zu sehen, sondern in Zusammenhang mit dem hilfsweise gestellten Verbescheidungsantrag im Rahmen einer Versagungsgegenklage. Der Aufhebungsantrag wurde nach Auffassung des Gerichts nur deshalb vorangeschoben, weil im ablehnenden Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums des Innern die Feststellung in Nr. 2 des Bescheids bereits abgelehnt wurde. Die Nr. I. des klägerischen Antrags vom 3. Dezember 2004 als - nur zweifelhaft zulässige - isolierte Anfechtungsklage zu verstehen, ergibt sich angesichts der klägerischen Begründung und den umfangreichen Ausführungen zur Klage jedoch gerade nicht.

II.

Die Feststellungsklage, dass die österreichische Buchmacherlizenz der Klägerin auch für das Land Bayern gelte und insbesondere dazu berechtige, über Wettannahmestellen Sportwetten an Kunden in Bayern anzubieten und mit diesen abzuschließen und dieses Angebot zu bewerben, ist zulässig, aber unbegründet.

1.

Die Feststellungsklage ist i.S.v. § 43 VwGO statthaft, da sie ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten betrifft, und ist nicht subsidiär zur hilfsweise erhobenen Verpflichtungsklage. Das Gericht nimmt insoweit von seiner im Urteil vom 4.4.2000 unter dem Az. M 16 K 98.1222 geäußerten Auffassung Abstand und schließt sich vielmehr - wie bereits im Urteil zum Verfahren M 16 K 02.2154 vom 27.1.2004 - den Ausführungen des nachfolgenden Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) vom 30.8.2000 unter dem Az. 22 B 00.1833 auf S. 6 ff. des Urteilsumdrucks - abgedruckt auch GewArch 2001, 65 - und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in seinem Urteil vom 28.3.2001 unter de