Vermittlung von Sportwetten

Verwaltungsgericht Minden

Beschluss v. 30.01.2008 - Az.: 3 K 1572/06

Leitsatz

1. Dem Europarecht sind Übergangsfristen wie sie aktuell das BVerfG (Urt. 28.03.2006 - Az.: 1 BvR 1054/01) bestimmt hat, fremd, so dass die vom BVerfG eingeräumte Übergangsfrist europarechtswidrig ist.

2. Das staatliche Glücksspiel-Monopol verstößt daher gegen EU-Recht und ist unwirksam.

Tenor

1. Das von den Beteiligten übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärte Verfahren wird eingestellt.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

Sachverhalt

s. Entscheidungsgründe

Entscheidungsgründe

I.

Die Beteiligten streiten sich über das Verbot der Vermittlung von Sportwetten.

Der Kläger meldete zum 05.12.2005 in (…) ein Gewerbe mit dem Gegenstand "Internet (ohne Spielcharakter), Verkauf von alkoholfreien Getränken, Vermittlung von Sportwetten" an. In seinem Geschäftslokal konnten die Kunden unter Verwendung ausliegender Tippzettel auf das Ergebnis von sportlichen Ereignissen gegen den Einsatz eines Geldbetrages eine Wette abschließen.

Das Wettsystem entspricht dem der sog. Oddset-Wetten, d.h. es wird zu vorher festgelegten Quoten (sog. Odds) auf den Ausgang eines Sportereignisses (in der Regel Fußballspiele der unterschiedlichen nationalen Ligen) gewettet. Den ausgefüllten Tippzettel nahm der Kläger gegen Zahlung des Spieleinsatzes entgegen. Über eine Online-Standleitung leitete der Kläger über das Internet die Wetten an den österreichischen Wettanbieter (…) mit Sitz in (…) weiter.

Nach Anhörung des Klägers forderte der Beklagte den Kläger mit Ordnungsverfügung vom 16.02.2006 auf, binnen einer Frist von sieben Tagen nach Bestandskraft der Verfügung den unerlaubten Betrieb des Gewerbes "Internet (ohne Spielcharakter), Verkauf von alkoholfreien Getränken, Vermittlung von Sportwetten" in seinen Geschäftsräumen in (…) einzustellen.

Für den Fall, dass der Kläger der Aufforderung nicht oder nicht in vollem Umfang fristgerecht nachkommen sollte, drohte der Beklagte dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,-- EUR zuzüglich Auslagen an.

Der Beklagte stützte die Verfügung auf § 12 Abs. 1 des Staatsvertrages zum Lotteriewesen in Deutschland (Lotteriestaatsvertrag - LoStV 2004) i.V.m. dem Gesetz zu dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen, § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO und § 14 Abs. 1 OBG NRW: Gemäß § 12 Abs. 1 des LoStV 2004 habe die zuständige Behörde darüber zu wachen und darauf hinzuwirken, dass unerlaubtes Glücksspiel unterbleibe. Sie könne die hierzu erforderlichen Maßnahmen treffen.

Ein Glücksspiel liege gemäß § 3 Abs. 1 des LoStV 2004 vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt werde und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhänge. Die Entscheidung über den Gewinn hänge in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich sei.

Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO könne die Fortsetzung eines Gewerbes, zu dessen Ausübung eine Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung (Zulassung) erforderlich sei, von der zuständigen Behörde verhindert werden, wenn das Gewerbe ohne diese Zulassung betrieben werde. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit "Vermittlung von Sportwetten" sei ein Gewerbe.

Die gewerbliche Tätigkeit "Vermittlung von Sportwetten" sei gemäß den §§ 1 und 2 Sportwettengesetz NRW erlaubnispflichtig. Wettunternehmen für sportliche Wettkämpfe könnten von der Landesregierung durch Erlaubnis zugelassen werden. Der Kläger habe für das Gewerbe Vermittlung von Sportwetten weder eine Erlaubnis beantragt noch erhalten. Er betreibe daher ohne die erforderliche Genehmigung ein erlaubnispflichtiges Wettunternehmen.

Das Sportwettengesetz NRW verstoße auch nicht gegen europarechtliche Bestimmungen. Nach der Rechtsprechung des EuGH könnten die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, die mit Spiel und Wetten einhergingen, Reglementierungen und Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen.

Diese Beschränkungen könnten insbesondere durch zwingende Gründe des Verbraucherschutzes, Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen gerechtfertigt sein. Sie gälten auch für die Vermittlung von Sportwetten über das Internet.

In seinem Urteil vom 06.11.2003 habe der EuGH darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, des freien Dienstleistungsverkehrs und der Freiheit, von einem Leistungserbringer angebotene Dienstleistungen zu empfangen oder in Anspruch zu nehmen, nur dann gerechtfertigt sei, wenn sie unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten erfolge und auf das erforderliche Maß beschränkt sei.

Diesen höchstrichterlichen Anforderungen, die auch von deutschen Gerichten im Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit stets betont worden seien, trügen das Sportwettengesetz NRW sowie der Staatsvertrag zum Lotteriewesen und das Gesetz zu dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen Rechnung.

Gemäß § 14 OBG NRW könnten Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sei dann gegeben, wenn gegen Rechtsnormen oder Individualrechtsgüter verstoßen werde.

Durch die fehlende Erlaubnis zur Durchführung von Sportwetten habe der Kläger gegen § 284 Abs. 1 StGB verstoßen. Danach sei strafbar, wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstalte oder halte oder die Einrichtungen hierzu bereitstelle.

Sportwetten erfüllten den Begriff des Glücksspiels im Sinne des § 284 StGB. Da der Kläger eine nach § 284 StGB erforderliche behördliche Erlaubnis nicht vorweisen könne, liege ein Verstoß gegen die Rechtsnorm vor, und es bestehe damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 14 Abs. 1 OBG NRW.

Die Untersagungsverfügung sei auch verhältnismäßig. Zweck der §§ 12 Abs. 1 LoStV 2004, 15 Abs. 2 GewO und 14 OBG NRW sei es, die Allgemeinheit vor Gefahren, die von einem unerlaubten Sportwettengewerbe ausgingen, sowie vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu schützen. Die Untersagungsverfügung sei geeignet, diesen Zweck zu erreichen, ein milderes Mittel, das gleich geeignet wäre, die vom Verhalten des Klägers ausgehenden Gefahren für die Allgemeinheit zu beseitigen, sei nicht ersichtlich.

Schließlich sei die angeordnete Einstellung auch angemessen, da im Interesse der Allgemeinheit nicht hingenommen werden könne, dass der Kläger seinen Gewerbebetrieb weiterhin ausübe, ohne über die erforderliche Erlaubnis zu verfügen, und somit den objektiven Straftatbestand des § 284 StGB erfülle.

Dagegen erhob der Kläger am 21.02.2006 Widerspruch. Er führte aus, die Ordnungsverfügung verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen die europarechtlich geschützte Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Die Voraussetzungen des § 284 StGB seien nicht erfüllt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.2006 wies die Bezirksregierung (…) den Widerspruch als unbegründet zurück und ordnete darüber hinaus die sofortige Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung an. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Ordnungsverfügung könne zwar nicht auf gewerberechtliche Untersagungstatbestände gestützt werden.

Richtige Ermächtigungsgrundlage sei aber § 12 Abs. 1 Ziffer 1 des LoStV 2004. Nach dieser Vorschrift könne die zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels zu untersagen. § 12 Abs. 1 Ziffer 1 LoStV 2004 sei eine eigenständige Rechtsgrundlage für Anordnungen zur Durchsetzung der staatsvertraglichen Regelungen. Ungenehmigte Sportwetten liefen den Zielen des Lotteriestaatsvertrages entgegen.

Die Voraussetzungen der Norm seien im vorliegenden Fall erfüllt. Die Untersagung werde ferner auf § 14 OBG gestützt. Durch die Vermittlung von Sportwetten an nicht in NRW konzessionierte Wettunternehmer werde der Straftatbestand der Beihilfe zur Veranstaltung eines verbotenen Glücksspiels erfüllt und damit gegen die strafrechtliche Norm des § 284 i.V.m. § 27 StGB verstoßen.

Bereits jede objektive Verwirklichung eines Straftatbestandes störe schon im Stadium des Versuches die öffentliche Sicherheit. Weiterhin habe der Kläger insoweit gegen die öffentliche Sicherheit verstoßen, als er unter Verletzung des Lotteriestaatsvertrages und des Sportwettengesetzes das Veranstalten ungenehmigter Sportwetten in seinem Ladenlokal ermöglicht und sogar gefördert habe.

Nach § 14 OBG müsse die zuständige Behörde ihr Ermessen hinsichtlich der beabsichtigten Maßnahme ausüben. Die Maßnahme müsse sich weiterhin als verhältnismäßig erweisen. Der Beklagte habe sein Einschreitermessen nach § 14 OBG sowie sein Ermessen nach § 16 OBG in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Einschreitens bestünden keine Bedenken.

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig unter Bezug auf sein bisheriges Vorbringen Klage erhoben, mit der er die Aufhebung der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 16.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung (…) vom 12.04.2006 begehrt hat. Er trägt ergänzend vor, der maßgebliche Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage sei der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (hier: 12.04.2006). Zu diesem Zeitpunkt sei der angefochtene Bescheid nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.2007 - 1 BvR 2218/06 -) rechtswidrig gewesen. Eine Heilung sei nicht eingetreten.

Das nordrhein-westfälische Sportwettenrecht in seiner derzeitigen Ausgestaltung sei mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar und dürfe auf Grund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht angewendet werden.

Dem tritt der Beklagte entgegen unter Bezug auf die Gründe des Widerspruchsbescheides und unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen. Er führt ergänzend aus, für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes sei bei Dauerverwaltungsakten wie der streitgegenständlichen Untersagungsverfügung regelmäßig auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen.

Insoweit sei zu berücksichtigen, dass zum 01.01.2008 in NRW der Staatsvertrag zum Glücksspielwesen (GlüStv) in Kraft getreten sei. Dieser entspreche den verfassungsrechtlichen Vorgaben und stehe auch mit Art. 43 und Art. 49 EGV im Einklang.

Mit Beschluss vom 08.06.2006 - 3 L 255/06 - hat die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt bzw. angeordnet. Das OVG NRW hat den Beschluss geändert (Beschluss vom 20.11.2006 - 4 B 1250/06 -).

Der Kläger hat seine Tätigkeit als Sportwettenvermittler zum 30.11.2006 eingestellt.

In der mündlichen Verhandlung vom 30.01.2008 haben die Beteiligten das Verfahren deshalb übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

II.

1.

Nachdem die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

2.

Die Kostenregelung beruht auf § 161 Abs. 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil er ohne das Ereignis, das die Beteiligten zum Anlass für die Abgabe der Erledigungserklärungen genommen haben, voraussichtlich unterlegen wäre.

Maßgeblich bei einer Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses, hier der Betriebsschließung im November 2006. Allg. Meinung, vgl. z.B.: OVG NRW, Beschluss vom 03.01.2008 - 4 B 1873/07 -, Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage, § 161 Rdnr. 83 m.w.N.

In dem für die Kostenentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Betriebsschließung im November 2006 war die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig und begründet. Die angefochtene Ordnungsverfügung des Beklagten vom 15.07.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung (…) vom 13.04.2006 war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Die streitgegenständliche Ordnungsverfügung kann nicht auf § 35 Abs. 9, Abs. 1 GewO gestützt werden. Nach § 35 Abs. 9 GewO finden die Bestimmungen des § 35 Abs. 1 - 8 GewO über die Gewerbeuntersagung Anwendung u.a. auf den Betrieb von Wettannahmestellen aller Art. Danach könnte eine Gewerbeuntersagung oder eine auf bestimmte Betätigungen zielende Teiluntersagung der Gewerbeausübung in Betracht kommen.

Eine Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO verfolgt aber das Ziel, einen bestimmten Gewerbebetreibenden an der gewerblichen Tätigkeit zu hindern, weil er unzuverlässig ist. Mit der hier angefochtenen Verfügung soll demgegenüber nicht der Ausschluss eines bestimmten Gewerbetreibenden erreicht werden, sondern die Verhinderung einer bestimmten Betätigung. Vgl.: BVerwG, Urteil vom 21.06.2006 - 6 C 19.06 -, GewArch 2006, Seite 412 f.

§ 15 Abs. 2 GewO kommt im vorliegenden Fall als Ermächtigungsgrundlage für die Betriebsschließung ebenfalls nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann eine gewerberechtlich genehmigungsfähige Tätigkeit, für die die erforderliche Genehmigung nicht vorliegt, untersagt werden. Dies setzt voraus, dass die Tätigkeit dem Grunde nach genehmigungsfähig ist, es jedoch versäumt wurde, diese einzuholen.

§ 15 Abs. 2 GewO ist jedoch vorliegend nicht einschlägig, da das Veranstalten von Sportwetten ein nach der Gewerbeordnung grundsätzlich nicht genehmigungsfähiges Veranstalten eines Glücksspiels ist. Vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 21.06.2006, a.a.O., Bay. VGH, Urteil vom 29.09.2004 - 24 BV 03.3162 -, GewArch 2005, Seite 78.

Die angefochtene Verfügung kann auch nicht auf § 14 OBG i.V.m. § 284 StGB und §§ 1, 2 Sportwettengesetz NRW, § 12 Abs. 1 Nr. 1 LoStV 2004 gestützt werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 22.11.2207 - 1 BvR 2218/06 -, waren alle sportwettenrechtlichen Untersagungsverfügungen, die vor dem 28.03.2006 erlassen worden sind, wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG rechtswidrig. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall.

Zwar datiert der Widerspruchsbescheid vom 13.04.2006. Zu diesem Zeitpunkt war mit der Umsetzung der Maßgaben, die das Bundesverfassungsgericht für die Übergangsfrist bis zum 31.12.2007 vorgegeben hat, aber noch nicht einmal begonnen worden, geschweige denn waren diese Maßnahmen bereits erfüllt. In NRW ist erst mit Rundschreiben des Innenministeriums vom 19.04.2006 - nach Erlass der streitgegenständlichen Verfügung in der Fassung des Widerspruchsbescheides - begonnen worden, die verfassungsgerichtlichen Vorgaben umzusetzen.

Das bis dahin vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.03.2006 festgestellte Ausgestaltungs- und Anwendungsdefizit des staatlichen Wettangebots wird nicht schon dadurch behoben, dass mit der Behebung begonnen wird. Jedenfalls ist festzustellen, dass alle sportwettenrechtlichen Untersagungsverfügungen in Nordrhein-Westfalen, die - wie hier - vor dem 19.04.2006 erlassen worden sind, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Erlass rechtswidrig waren.

Im vorliegenden Verfahren ist bis zur Betriebsschließung im November 2006 auch keine Heilung eingetreten.

Soweit die Verfügung auf § 14 OBG i.V.m. § 284 StGB gestützt worden ist, folgt dies bereits daraus, dass Verfügungen, die auf Grund des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts ergehen und der Gefahrenabwehr dienen, grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu beurteilen sind. Spätere Änderungen der Sach- und Rechtslage können sich auf die Rechtmäßigkeit der Behördenentscheidung nicht mehr auswirken. Vgl.: BVerwG, Urteil vom 06.09.1974 - I C 17.73 -, BVerwGE 47, 31 f., Urteil vom 01.07.1975 - I C 35.70 -, BVerwGE 49, 36 f., Urteil vom 21.06.2006, a.a.O., Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage, Seite 601.

Unabhängig davon ist die Ordnungsverfügung im für die Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Betriebsschließung aber auch deshalb rechtswidrig (geblieben), weil die §§ 1, 2 des Sportwettengesetzes NRW, § 12 Abs. 1 Nr. 1 LoStV 2004 gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EGV verstoßen. Wegen des Anwendungsvorranges des Europäischen Gemeinschaftsrechts führt dies zur Unanwendbarkeit der §§ 14 OBG, 284 Abs. 1, 27 StGB i.V.m. §§ 1, 2 Sportwettengesetz und § 12 Abs. 1 Nr. 1 LoStV 2004.

Das Sportwettengesetz NRW a.F. begründete ein staatliches Monopol für die Durchführung von Sportwetten.

Das Bundesverfassungsgericht, vgl. Urteil vom 28.03.2006 - 1 BvR 1054/01 - NJW 2006, 1261, hat in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof, vgl. Urteil vom 06.11.2003 - C 243/01 - (Gambelli), GewArch 2004, 30, festgestellt, dass ein staatliches Wettmonopol nur dann gerechtfertigt ist, wenn es der Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht dient (98) und/oder dem Schutz der Spieler vor betrügerischen Machenschaften seitens der Wettanbieter und dem Verbraucherschutz, insbesondere vor der besonders naheliegenden Gefahr irreführender Werbung (103).

Legitimes Ziel eines staatlichen Wettmonopols ist außerdem die Abwehr von Gefahren aus mit dem Wetten verbundener Folge- und Begleitkriminalität (105). Demgegenüber scheiden fiskalische Interessen des Staates als solche zur Rechtfertigung der Errichtung eines Wettmonopols aus (107).

Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass das staatliche Monopol für Sportwetten in der damaligen Ausgestaltung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar war. Insoweit folgt die Kammer den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtslage nach dem Bayerischen Staatslotteriegesetz vom 29.04.1999, die auf die in Nordrhein-Westfalen geltende Rechtslage in allen wesentlichen Punkten übertragbar sind. Ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 31.10.2006 - 4 B 1046/06 -.

Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil vom 28.03.2006 unter anderem weiter fest, dass die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts - die zur Verfassungswidrigkeit der bayerischen gesetzlichen Regelungen führen - parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof formulierten Vorgaben für die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) laufen, die vorliegend betroffen sind, weil es um die Vermittlung von Sportwetten geht, die in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft veranstaltet werden (144).

Hieraus folgt auf der Grundlage des genannten verfassungsgerichtlichen Urteils ohne weiteres, dass die bayerischen Regelungen über ein gesetzliches Monopol für die Veranstaltung von Sportwetten und damit auch die mit ihnen übereinstimmenden Gesetze in Nordrhein-Westfalen ebenso gegen das europäische Gemeinschaftsrecht verstoßen. Diese Ausführungen werden durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.12.2007 - 1 BvR 3082/06 - nicht in Frage gestellt.

Die Annahme der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des durch die genannten Vorschriften begründeten Sportwettenmonopols beruht im Übrigen auf folgenden Erwägungen:

Der Europäische Gerichtshof stellte in seinem Urteil vom 06.03.2007 - C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Placanica u.a.) - fest, dass es grundsätzlich möglich ist, auf Grund sittlicher, religiöser und kultureller Besonderheiten und im Hinblick auf mögliche sittliche und finanziell schädliche Folgen nationale Beschränkungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen. Diese Beschränkungen müssen aber den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen.

Der Europäische Gerichtshof führt insoweit aus:

"Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung, die die Ausübung von Tätigkeiten im Glücksspielsektor ohne eine vom Staat erteilte Konzession oder polizeiliche Genehmigung unter Strafandrohung verbietet, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt (Urteil Gambelli u.a., Rdnr. 59 und Tenor). ...

Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob solche Beschränkungen auf Grund der in den Artikeln 45 EG und 46 EG ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmeregelungen zulässig oder nach der Rechtsprechung des Gerichts aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind (Urteil Gambelli u.a., Rdnr. 60).

In diesem Zusammenhang hat die Rechtsprechung eine Reihe von zwingenden Gründen des Allgemeininteresses anerkannt, nämlich den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen sowie die Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24.03.1994, Schindler, C-275/92, Slg. 1994, I-1039, Rdnrn. 57 bis 60, vom 21.09.1999, Läärä u.a., C-124/97, Slg. 1999, I-6067, Rdnrn. 32 und 33, Zenatti, Rdnrn. 30 und 31, sowie Gambelli u.a., Rdnr. 67).

In diesem Kontext können die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, die mit Spiel und Wetten einhergehen, ein ausreichendes Ermessen der staatlichen Stellen rechtfertigen festzulegen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben (Urteil Gambelli u.a., Rdnr. 63).

Es steht den Mitgliedsstaaten in dieser Hinsicht zwar frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und gegebenenfalls das angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen, jedoch müssen die von ihnen vorgeschriebenen Beschränkungen den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit genügen.

Daher ist gesondert für jede mit den nationalen Rechtsvorschriften auferlegte Beschränkung namentlich zu prüfen, ob die Beschränkung geeignet ist, die Verwirklichung des von dem fraglichen Mitgliedsstaat geltend gemachten Ziels oder der von ihm geltend gemachten Ziele zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels oder dieser Ziele erforderlich ist.

Auf jeden Fall dürfen die Beschränkungen nicht diskriminierend angewandt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Gebhard, Rdnr. 37, Gambelli u.a., Rdnrn. 64 und 65, sowie vom 13.11.2003, Lindman, C-42/02, Slg. 2003, I-13519, Rdnr. 25)."

Der Europäische Gerichtshof knüpft damit an seine Rechtsprechung an, dass nationale Maßnahmen, die die vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten beschränken, nur unter vier Voraussetzungen zulässig sind: Sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Vgl. dazu: EuGH, Urteil vom 26.10.2006 - C-65/05 -, Rdnr. 49.

Auch in seinem Urteil vom 05.06.2007 - C-170/04 - (Rosengren) betreffend das schwedische Importverbot für Alkohol knüpft der Gerichtshof an diese Grundsätze an.


Bereits in dem Urteil vom 23.10.1997 - C-189/95 (Lexezius) Rdnr. 42 heißt es: "Wie der Gerichtshof wiederholt ausgeführt hat, verlangt Art. 37 des Vertrages nicht die völlige Abschaffung der staatlichen Handelsmonopole, sondern schreibt vor, sie in der Weise umzuformen, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedsstaaten ausgeschlossen ist."

Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein staatliches Wettmonopol nur dann mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn es geeignet, erforderlich, angemessen und nicht diskriminierend ausgestaltet ist. Der Europäische Gerichtshof billigt dem einzelnen Mitgliedsstaat bei der Umsetzung dieser Grundsätze kein Ermessen zu, prüft ihre Einhaltung vielmehr an Hand der von ihm selbst gebildeten, als außerordentlich streng zu wertenden Maßstäbe.

So wird in dem Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes vom 06.03.2007 im Ergebnis festgestellt, dass nationale Regelungen - wie diejenigen in Italien -, nach denen ein privatrechtliches Unternehmen eine Lizenz nach den gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht erhalten kann und die nationale Behörde es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ablehnt, entsprechende Lizenzen zu erteilen, gemeinschaftsrechtswidrig sind.

Der Gerichtshof hat in der Entscheidung ausgeführt, dass selbst das alte italienische Gesetzesmodell - inzwischen ist in Italien eine Liberalisierung erfolgt -, wonach private Kapitalgesellschaften keine Lizenz erhalten können, wohl aber Lizenzen an staatlich kontrollierte Annahmestellen erteilt werden, gegen EU-Recht verstößt, weil Private nach den dortigen Regelungen praktisch vom Zugang zu einer Lizenz ausgeschlossen waren.

Schon diese Regelung hält der Europäische Gerichtshof für gemeinschaftsrechtswidrig. Die deutsche Regelung a.F., nach der ein privatrechtliches Unternehmen überhaupt keine Lizenz erhalten konnte, war daher erst recht als gemeinschaftsrechtswidrig anzusehen.

Eine Diskriminierung von Sportwettenanbietern, die ihren Sitz in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben und dort über eine die Veranstaltung von Sportwetten ermöglichende Erlaubnis oder Konzession verfügen, gegenüber den in Deutschland zugelassenen Veranstaltern von Sportwetten kann hiernach nur dann verneint werden, wenn die erstgenannten Sportwettenanbieter ihre Dienstleistung in Deutschland mindestens in dem Umfang anbieten dürfen, in dem dies deutschen Sportwettenveranstaltern im Inland möglich ist, wobei dann auch von allen die Einhaltung von Sicherheitsmaßregeln gefordert werden kann, etwa die Überprüfung der Identität der Wettteilnehmer, die Erreichung eines Mindestalters, etwa des 21. Lebensjahrs, die Beachtung von Selbst- und Fremdsperren, Beschränkung der Werbung für Sportwettenangebote, Angebote für die Aufklärung über die Gefahr, spielsüchtig zu werden, und Zurverfügungstellung von Rat und Hilfe für Spielsüchtige.

Die Tätigkeit von Personen, die den Abschluss von Sportwetten zwischen inländischen Wettteilnehmern und Sportwettenanbietern mit Sitz in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vermitteln, ist jeweils insoweit durch Art. 43 und 49 EGV gedeckt, als diese Vermittlungstätigkeit erforderlich ist, um den Sportwettenveranstaltern aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union als Dienstleistern einen effektiven Zugang zum deutschen Sportwettenmarkt zu eröffnen.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass das durch den Lotteriestaatsvertrag a.F. begründete deutsche Sportwettenmonopol auch gegen die Lindman-Entscheidung, EuGH, RS L-42/02, Lindman, Slg. 2003, I-13519, Rdnrn. 25 und 26, auf die die Placanica-Entscheidung ausdrücklich Bezug nimmt, verstoßen haben dürfte. Nach der Lindman-Entscheidung ist ein Mitgliedsstaat nur dann berechtigt, Eingriffe in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vorzunehmen, wenn diese Eingriffe durch tatsächliche Untersuchungen der Verhältnismäßigkeit begleitet sind.

Soweit solche Eingriffe sich - wie in Deutschland - nicht auf alle Formen von Glücksspielen beziehen, sondern nur auf bestimmte - etwa auf Sportwetten -, müssten solche Untersuchungen auch die besondere Gefährlichkeit gerade dieser Art von Glücksspielen erkennen lassen.

Der Europäische Gerichtshof führt in der genannten Entscheidung wörtlich aus:

"Die Rechtfertigungsgründe, die von einem Mitgliedsstaat geltend gemacht werden können, müssen von einer Untersuchung zur Zweckmäßigkeit der von diesem Staat erlassenen beschränkenden Maßnahme begleitet werden ... Im Ausgangsverfahren weisen die dem Gerichtshof vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten kein Element statistischer oder sonstiger Natur auf, das einen Schluss auf die Schwere der Gefahren, die mit dem Betrieb von Glücksspielen verbunden sind, und erst recht nicht auf einen besonderen Zusammenhang zwischen solchen Gefahren und der Teilnahme der Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedslandes an in anderen Mitgliedsländern veranstalteten Lotterien zuließe."

Dieser Untersuchungspflicht sind die Landesgesetzgeber - wie bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 06.03.2006 bemängelt hat - jedenfalls bei der Schaffung der Sportwettengesetze und des Staatslotteriegesetzes i.d.F. von 2004 nicht nachgekommen.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28.03.2006 eine Übergangsregelung für die bislang geltenden Sportwettengesetze unter bestimmten Maßgaben getroffen.

Die dem Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht eingeräumte Übergangsregelung ist aber auf Grund des Anwendungsvorrangs des Europarechts nicht anwendbar. Die bis zum 31.12.2007 geltende Rechtslage verstieß - wie bereits ausgeführt - gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) und gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV).

Anders als § 95 Abs. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Auslegung, die diese Vorschrift durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfahren hat, kennt das Gemeinschaftsrecht nämlich keine Übergangsregelung in dem Sinne, dass eine an sich verfassungswidrige Norm für einen Übergangszeitraum weiterhin Geltung hat. Eine Ausnahme hiervon hat der Europäische Gerichtshof, der im Übrigen allein hierfür zuständig wäre, bisher nur in einem einzigen, besonders gelagerten Einzelfall gemacht. Vgl. EuGH, Urteil vom 30.05.2006 - C - 317/04 -.

Eine entsprechende Anwendung des dabei zugrundegelegten Rechtssatzes auf die hier zu beurteilende Fallgestaltung ist weder möglich noch geboten. Jedenfalls hat ein Verwaltungsgericht selbst nach der Verwaltungsgerichtsordnung nicht die Befugnis, einer Behörde für eine Übergangszeit die Anwendung einer verfassungswidrigen Norm zu erlauben. Vgl. insoweit auch ausführlich: OVG Saarlouis, Beschluss vom 04.04.2007 - 3 W 18/06 -.

Dass auf Grund der in Art. 23 GG angeordneten Übertragung von Hoheitsrechten das Gemeinschaftsrecht einen so genannten Anwendungsvorrang genießt, ist einheitliche Auffassung in Rechtsprechung und Literatur. Vgl.: EuGH, Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1141; EuGH, Rs 106/77, Simmenthal II, Slg 1978, 629; BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986 - 2 BvR 197/83 -, BVerfGE 73, 339 (375); Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EGV Anm. 40 ff.; Selmayr/Prowald, Abschied von den "Solange"-Vorbehalten, DVBl. 99, 271 ff.; Rauch, Die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit staatlicher Monopole bei Sportwetten, GewArch 2001, 102 (110); Hoeller/Bodemann, Das "Gambelli"-Urteil des EuGH und seine Auswirkungen auf Deutschland, NJW 2004, 122 (124).

Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts fordert, dass nationales Recht, das gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, ohne Weiteres außer Acht gelassen wird. Dies deckt sich auch mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das die Nichtberücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Verstoß gegen die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG angesehen hat. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.08.2004 - 1 BvR 1446/04 -.

Durch das Bundesverfassungsgericht wurde der Anwendungsvorrang gegenüber nationalem, einfachem Recht schon vor langem ausnahmslos anerkannt:

"Denn durch die Ratifizierung des EWG-Vertrags ... ist in Übereinstimmung mit Art. 24 Abs. 1 GG eine eigenständige Rechtsordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entstanden, die in die innerstaatliche Rechtsordnung hineinwirkt und von den deutschen Gerichten anzuwenden ist ... Art. 24 Abs. 1 GG (nunmehr Art. 23 Abs. 1) besagt bei sachgerechter Auslegung nicht nur, dass die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen überhaupt zulässig ist, sondern auch, dass die Hoheitsakte ihrer Organe vom ursprünglich ausschließlichen Hoheitsträger anzuerkennen sind.

Von dieser Rechtslage ausgehend müssen ... die deutschen Gerichte auch solche Rechtsvorschriften anwenden, die zwar einer eigenständigen außerstaatlichen Hoheitsgewalt zuzurechnen sind, aber dennoch auf Grund ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof im innerstaatlichen Raum unmittelbare Wirkung entfalten und entgegenstehendes nationales Recht verdrängen."

So: BVerfG, Beschluss vom 09.06.1971 - 2 BvR 225/69 -, BVerfGE 31, 145 (173).

Das Bundesverfassungsgericht hat damit festgestellt, dass unmittelbar anwendbares Primärrecht wie Sekundärrecht im Falle einer Kollision mit späterem wie früherem einfachen Gesetzesrecht vorgeht. Folge hiervon ist, dass die deutschen Gerichte im Falle einer Kollision von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht mit deutschem Gesetzesrecht nicht das deutsche Gesetz, sondern die gemeinschaftsrechtliche Bestimmung anzuwenden haben.

Ihnen kommt somit eine Prüfungs- und Verwerfungskompetenz gegenüber gemeinschaftsrechtswidrigen deutschen Gesetzen zu, wobei es sich rechtlich um eine "Nichtanwendungspflicht" handelt. Entsprechendes gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auch uneingeschränkt für die Verwaltung.

Steht ein deutsches Gesetz im Widerspruch zu einer unmittelbar anwendbaren Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, so hat die deutsche Behörde dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts Geltung zu verschaffen und muss dieses Gesetz unangewendet lassen. Vgl. EuGH, Rs 103/88, Fratelli Costanzo; Streinz, a.a.O., Art. 10 EGV, Anm. 35.

Der Anwendungsvorrang bewirkt nach alledem, dass Gesetze jedweden nationalen Rechts, die mit den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar sind, weder von nationalen Behörden noch den Gerichten angewandt werden dürfen. Da vorliegend vom Bundesverfassungsgericht zu Recht, wenn auch nicht mit bindender Wirkung, festgestellt wurde, dass die Sportwettengesetze a.F. der Bundesländer, die staatliche Monopole anordneten, einerseits gegen die Niederlassungsfreiheit und andererseits gegen die Dienstleistungsfreiheit verstießen, durften diese Vorschriften von keiner nationalen Verwaltungsbehörde herangezogen werden, um die EU-interne Sportwettenvermittlung zu verbieten.

Soweit das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Fällen der vorliegenden Art wegen einer sonst entstehenden "inakzeptablen Gesetzeslücke" den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts ausschließen will, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Vgl. z.B. OVG NRW, Beschluss vom 18.04.2007 - 4 B 1246/06 -; im Ergebnis wie hier: OVG des Saarlandes, Beschluss vom 04.04.2007, a.a.O.; VG Köln, Urteil vom 22.06.2006 - 1 K 2675/04 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 10.10.2007 - 1 K 778/05 -.

3.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.