Vermittlung von Sportwetten
Leitsatz
1. Das nordrhein-westfälische Sportwettenrecht verstößt gegen EU-Recht.
2. Entgegen dem OVG NRW (Beschl. v. 28.06.2006 - Az.: 4 B 961/06) existiert kein allgemeines Prinzip der Rechtssicherheit, dass die Rechtsfolgen einer Kollision mit höherrangigem Recht beschränkt, um unerträgliche Konsequenzen einer sonst eintretenden Regelungslosigkeit zu vermeiden.
3. Das Verbot, private Sportwetten an im EU-Ausland konzessionierte Anbieter zu vermitteln, ist daher rechtswidrig.
Tenor
I. Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 04. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates des Rhein-Erft-Kreises vom 31. Mai 2005 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Sachverhalt
Die Klägerin meldete zum 01. April 1991 bei der Beklagten die Ausübung des Gewerbes „Spielhallenbetrieb, Ausspielgeschäfte" unter der Adresse L. -B. - Straße 00 in 00000 C. an. Dort betrieb sie in der Folgezeit eine Spielhalle. Anlässlich einer Durchsuchung am 29. Oktober 2004 wurde u.a. der Betrieb von vier „D. Online-Surfstationen" festgestellt, mittels derer Kunden u.a. online- Sportwetten des österreichischen Wettunternehmens „D. Sportwetten" abschließen konnten. Des Weiteren fanden sich Werbematerial der Firma „D. Sportwetten" sowie - jedenfalls - ein entsprechender Wettschein. Am 29. Oktober 2004 untersagten Bedienstete der Beklagten im Wege des Sofortvollzuges zunächst den weiteren Betrieb der Spielhalle insgesamt und versiegelten die Betriebsräume der Klägerin.
Mit Ordnungsverfügung vom 04. November 2004 bestätigte die Beklagte gemäß § 20 OBG und § 37 Abs. 2 VwVfG diese im Wege des Sofortvollzuges vorgenommene Schließung und Versiegelung. Des Weiteren untersagte sie der Klägerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den weiteren Betrieb der Spielhalle als Wettannahmestelle sowie die weitere Ausübung der Tätigkeit „Vermittlung von Sportwetten in allen Formen, also auch über Annahmeterminals, Internet, Telefon usw. sowie die Aufstellung von Wettannahmeterminals, soweit diese der Annahme bzw. Vermittlung von Sportwetten dienen."
Dies gelte für alle Annahmen bzw. Arten der Vermittlung von Sportwetten, deren Veranstalter nicht vom Innenminister des Landes NRW zugelassen sei. Des Weiteren drohte sie der Klägerin für den Fall der Zuwiderhandlung erneut die Anwendung unmittelbaren Zwanges an. Die Beklagte stützte die Ordnungsverfügung auf § 14 OBG sowie auf § 15 Abs. 2 GewO und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Klägerin habe zu einem Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung beigetragen, indem sie vorsätzlich Handlungen getätigt habe, die einen Straftatbestand erfüllten. Die Vermittlung von Sportwetten für Unternehmen, die - wie die Firma D. - nicht über eine in Nordrhein-Westfalen gültige Erlaubnis nach § 1 Sportwettengesetz NRW verfügten, sei als Beteiligung an der Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels gemäß § 284 StGB zu qualifizieren.
Ebenfalls am 04. November 2004 entsiegelte die Beklagte die Betriebsräume der Klägerin und erlaubte die Wiedereröffnung der Spielhalle.
Die Klägerin legte am 15. November 2004 Widerspruch gegen die Ordnungsverfügung ein, zu dessen Begründung sie ausführte, bei den Tipomaten handele es sich um reine Internetterminals, an denen man gegen Geldeinwurf im Internet surfen, SMS-Nachrichten versenden und alle übrigen Internetdienstleistungen in Anspruch nehmen könne. Selbstverständlich könnten die Seiten unterschiedlichster Wettanbieter - wie oddset oder D. - besucht werden. Ihre Tätigkeit habe sich darauf beschränkt, derartige Terminals zur Verfügung zu stellen und den Kunden die Möglichkeit einzuräumen, entsprechende Wetten abzuschließen.
Diese Tätigkeit erfülle weder den Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB noch sei sie als Beihilfe hierzu zu werten. Sportwetten seien im Übrigen ohnehin nicht als Glücksspiele im Sinne der genannten Strafnorm anzusehen. Zudem verfüge die Firma „D. „ über eine gültige Sportwettenerlaubnis. Des Weiteren würden die an sie vermittelten Sportwetten alleine in Österreich „veran- staltet". Im Übrigen sei die Regelung des § 1 Sportwettengesetz NRW, die die Erteilung einer Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten an Privatpersonen ausschließe, auch gemeinschaftsrechtswidrig, da sie eine unzulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG-Vertrag darstelle.
Der Landrat des Rhein-Erft-Kreises wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2005 zurück.
Am 13. Juni 2005 hob die Beklagte die Vollziehungsanordnung bezüglich der Ordnungsverfügung vom 04. November 2004 auf.
Die Klägerin hat am 22. Juni 2005 Klage erhoben.
Sie trägt unter Vertiefung ihres Vorbringens im Vorverfahren vor: Die Ordnungsverfügung, insbesondere auch die Zwangsmittelandrohung, sei unverhältnismäßig. Das staatliche Sportwettenmonopol verstoße in seiner derzeitigen Form, insbesondere wegen des Werbeverhaltens der staatlichen Wettveranstalter, gegen Art. 43 und 49 EG-Vertrages, wie sich aus der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des EuGH in Sachen Gambelli ergebe. Wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts scheide eine Anwendbarkeit des § 284 StGB vorliegend aus. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom 28. März 2006 zwischenzeitlich entschieden, dass das staatliche Wettmonopol gegen das Grundgesetz verstoße. Zwar habe das Verfassungsgericht auch befunden, dass das Veranstalten von Sportwetten weiterhin als verboten angesehen werden dürfe; indes betreffe dies nicht die Vermittlung von Sportwetten ins EU-Ausland, wie sie die Klägerin vornehme. Zur Entscheidung über die Vereinbarkeit nationaler Normen mit den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts habe sich das Bundesverfassungsgericht nämlich ausdrücklich für unzuständig erklärt. Die vom Bundesverfassungsgericht gemachten Vorgaben für den Fall der Beibehaltung des staatlichen Wettmonopols seien zudem bislang nicht umgesetzt worden. Darüber hinaus habe auch das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die parallelen Entscheidungsmaßstäbe des EuGH (Entscheidung vom 06.11.2003 - Gambelli -) mittelbar festgestellt, dass das staatliche Sportwettenmonopol auch gegen die europarechtlich garantierte Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verstoße, weil staatliche Lotteriegesellschaften selbst Sportwetten anböten und hierfür in erheblichem Umfang Werbung betrieben.
Die Klägerin beantragt, die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 04. November 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landrates des Rhein- Erft-Kreises vom 31. Mai 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Ordnungsverfügung für rechtmäßig und hierzu verweist insbesondere auf die nach Ergehen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts erfolgten Maßnahmen des Landes NRW zur Begrenzung der Werbeaktivitäten von WestLotto sowie die aktuelle Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen. Sie ist der Auffassung, das staatliche Sportwettenmonopol stelle keine unzulässige Beschränkung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 04. November 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landrates des Rhein-Erft-Kreises vom 31. Mai 2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Untersagung der Ausübung der Tätigkeit der Vermittlung von Sportwetten ist nicht durch die von der Beklagten herangezogene Ermächtigungsgrundlage des § 14 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (OBG) gedeckt.
Zwar ist die Vorschrift des § 14 OBG dem Grunde nach anwendbar und insbesondere nicht durch § 15 Abs. 2 der Gewerbeordnung (GewO) verdrängt.
Vgl. ständige Rechtsprechung der Kammer, u.a. Beschluss vom 12. September 2002 - 1 L 1610/02 - .
Jedoch liegen die Voraussetzungen des § 14 OBG - soweit die vorliegend allein in Rede stehende Vermittlung von Sportwetten an im EU-Ausland konzessionierte Wettveranstalter betroffen ist - nicht vor.
Nach dieser Vorschrift können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahhen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Von einem Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit wäre dann auszugehen, wenn sich die Vermittlung von Oddset- /Sportwetten für die Firma D. durch die Klägerin als Beihilfe zur unerlaubten Veranstaltung von Glücksspielen gemäß § 284 Abs. 1, § 27 Abs. 1 StGB bzw. Werbung für unerlaubtes Glücksspiel gemäß § 284 Abs. 4 StGB darstellen würde.
Dies ist indes nicht der Fall. Zwar sind Oddset-Wetten der in Rede stehenden Art nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - der die Kammer in ständiger Rechtsprechung folgt - als Glücksspiel anzusehen, da der Erfolg zumindest überwiegend vom Zufall abhängt,
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 28.03.2001 - 6 C 2.01 - GewArch. 2001, S. 334.
Auch verfügt weder die Klägerin noch die Firma D. über eine Zulassung als Wettunternehmer nach nordrhein-westfälischem Landesrecht. Eine solche ist auch nicht möglich, da sie nach § 1 Sportwettengesetz NRW ausschließlich juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder solchen juristischen Personen des Privatrechts vorbehalten ist, deren Anteile überwiegend juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehören. Auch sind die von der Klägerin vermittelten Oddset-Wetten nicht nur in Österreich, sondern auch in NRW veranstaltet worden, da Ort der Begehung einer Straftat im Sinne von § 9 StGB jeder Ort ist, an dem irgendein Teil des strafbaren Tatbestandes verwirklicht worden ist,
vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 13. Dezember 2002 - 4 B 1844/02 -,
und die Klägerin als Vermittlerin für die Firma D. in Österreich in ihrem Betrieb in C. Vorkehrungen getroffen hat, um den Abschluss von Sportwettenverträgen zu bewirken.
Dies alles bedarf jedoch keiner Vertiefung, da der Annahme einer Beihilfe der Klägerin zur Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1, § 27 Abs. 1 StGB entgegen steht, dass das staatliche Sportwettenmonopol in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG-Vertrag verstößt. Wegen des Anwendungsvorranges des europäischen Gemeinschaftsrechts führt dies zur Unanwendbarkeit der § 284 Abs. 1, § 27 StGB i.V.m § 1 Sportwettengesetz.
Vgl. auch VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2006 - 1 L 379/06 -; VG Minden, Beschluss vom 26. Mai 2006 - 3 L 249/06 -.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden,
dass nationale Regelungen, die strafbewehrte Verbote des Sammelns, der Annahme und der Übertragung von Sportwetten enthalten, Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des Dienstleistungsverkehrs darstellen, wenn der betreffende Mitgliedsstaat keine Genehmigungen erteilt. Die Beschränkungen müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten und dürfen nicht über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinausgehen. Zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die derartige Beschränkungen rechtfertigen könnten, gehöre u.a. die Vermeidung von Anreizen zu überhöhten Ausgaben für das Spielen. Unverhältnismäßig könnten strafrechtliche Sanktionen sein, wenn staatlich zugelassene nationale Einrichtungen zur Teilnahme an Sportwetten ermutigten.
Letzteres ist vorliegend der Fall.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG),
vgl. Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - NJW 2006, 1261 -,
hat die dem Sportwettengesetz NRW entsprechenden bayerischen Vorschriften zum staatlichen Sportwettenmonopol in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung - insbesondere weil es eine effektive Suchtbekämpfung nicht sicherstelle - als unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit gewürdigt und bestätigt, dass die Unverhältnismäßigkeit der tatsächlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols auch den Ausschluss der Vermittlung privater Wetten erfasst. Es hat hierbei ausdrücklich hervorgehoben, dass die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben laufen bzw. die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts denen des Grundgesetzes entsprechen (Rn. 144). Damit impliziert seine verfassungsrechtliche Würdigung zwingend die Wertung, dass das bayerische Sportwettenmonopol auch gegen Art. 43 und 49 EG-Vertrag verstößt. Da die Rechtslage betreffend das staatliche Sportwettenmonopol in Bayern und NRW keine wesentlichen Unterschiede aufweist, sind die Ausführungen auf den Rechtszustand in NRW übertragbar,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2006 - 4 B 961/06 -, VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2006 - 1 L 379/06 - m.w.N., Urteil der Kammer vom 22. Juni 2006 - 1 K 2675/04 -.
Soweit das BVerfG ausgeführt hat, dass die bisherige Rechtslage während einer bis zum 31. Dezember 2007 andauernden Übergangszeit, in der das Sportwettenrecht im Einklang mit dem Grundgesetz neu zu regeln ist, weiterhin anwendbar bleibe und die private Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden dürfe, steht dies der Annahme eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht nicht entgegen, da es an einer vergleichbaren europarechtlichen Übergangsregelung fehlt und im Widerspruch zu unmittelbar geltendem EG-Recht stehendes nationales Recht wegen des Anwendungsvorrangs von EG-Recht nicht angewendet werden darf.
Vgl. EuGH, Urteil vom 09. März 1978 - Rs. 106- 77 - (Simmenthal), Slg. 1978, 629, Leitsatz 3; VG Arnsberg, a.a.O..
Hierdurch wird die vom BVerfG angeordnete Übergangsregelung nicht unterlaufen, da das BVerfG in der genannten Entscheidung ausdrücklich festgestellt hat, es sei zur Beantwortung der Frage der Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Norm des einfachen Rechts mit Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht zuständig (Rdn. 77). Es kann daher nicht angenommen werden, dass das BVerfG mit der Übergangsregelung konkludent zum Ausdruck bringen wollte, dass das staatliche Wettmonopol europarechtskonform sei.
So aber Schmid, Gew Arch 2006, 177, 179.
Dies erscheint auch deshalb ausgeschlossen, weil das BVerfG inhaltlich - wie oben bereits ausgeführt - von „parallelen Anforderungen" des Grundgesetzes und des Gemeinschaftsrechts ausgeht, weshalb bei Zugrundelegung seiner Auffassung alles dafür spricht, dass das staatliche Wettmonopol auch als europarechtswidrig angesehen werden muss. Der Hinweis des BVerfG auf die Zulässigkeit der ordnungsrechtlichen Unterbindung privater Sportwetten in der Übergangszeit ist daher so zu verstehen, dass er ohne Prüfung bzw. vorbehaltlich entgegenstehenden Gemeinschaftsrechts ergangen ist.
Der Umstand, dass die Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG auf Veranlassung des Innenministeriums NRW zwischenzeitlich um eine den Vorgaben des BVerfG entsprechende tatsächliche Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols bemüht ist, siehe Anschreiben des Innenministeriums an die Geschäftsführung der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG vom 19. April 2006, kann an dem festgestellten Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht nichts ändern, da zum einen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen ist. Im Mai 2005 hatte sich indes an dem aggressiven Werbeverhalten des staatlichen Wettunternehmens noch nichts geändert. Zum anderen sind rein tatsächliche Änderungen der Sportwettenpraxis der staatlichen Wettunternehmen zur Beseitigung des Gemeinschaftsrechtsverstoßes nicht ausreichend, sondern es bedarf darüber hinaus auch einer den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechenden rechtlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols, die bislang nicht erfolgt ist.
Vgl. OVG NRW, a.a.O.; VG Arnsberg, a.a.O..
Aus alldem folgt, dass angesichts des - unmittelbar eingreifenden - Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts derzeit von einem Verstoß des Klägers gegen §§ 284, 27 StGB bzw. gegen § 1 Sportwettengesetz nicht ausgegangen werden kann, soweit es um die Vermittlung von Sportwetten an im EU- Ausland konzessionierte Wettveranstalter geht. Die Frage einer Verwirklichung des Straftatbestandes kann sich erst dann stellen, wenn die Zulassung einer Veranstaltung von Sportwetten im Einklang mit den Grundsätzen des europäischen Gemeinschaftsrechts geregelt worden ist.
Vgl. HessVGH, Beschluss vom 09. Februar 2004 - 11 TG 3060/03 - GewArch 2004, 153.
Soweit das OVG NRW im - in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen - zitierten Beschluss für den vorliegenden Kontext diesen Anwendungsvorrang im Hinblick auf eine ansonsten entstehende inakzeptable Gesetzeslücke begrenzen will mit der Folge, dass die Vorschriften der §§ 284 f. StGB und des Sportwettengesetzes NRW auch vor dem Hintergrund der genannten europarechtlichen Vorschriften nach denselben (zeitlichen wie materiellen) Maßgaben vorübergehend anwendbar bleiben sollen, wie es das Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) im Ergebnis für das bayerische Recht angenommen hat, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen:
Eine derartige Ausnahme vom Grundsatz des Anwendungsvorranges ist in der Rechtsprechung des EuGH bislang nicht anerkannt. Die insoweit allein zur Rechtfertigung vom OVG NRW herangezogene Entscheidung des EuGH,
Urteil vom 30. April 1996 - Rs. C-194/94 - (CIA Security International), Slg. 1996, I-2201, Rdn. 52f.,
ist nicht einschlägig; sie betrifft einen anderen Sachverhalt und enthält nicht ansatzweise Ausführungen zur Frage einer Durchbrechung des Anwendungsvorrangs.
Darüber hinaus hat die Kammer gegen die Annahme einer - und sei es nur temporären - Durchbrechung des Anwendungsvorranges der Art. 43 und 49 EGV auch deshalb Bedenken, weil dies keine Auslegung des Inhalts der genannten Bestimmungen mehr darstellt, sondern auf eine Unwirksamkeitserklärung dieser unmittelbar geltenden gemeinschaftsrechtlichen Normen - für den Bereich der Sportwetten - hinausläuft. Nationale Gerichte sind jedoch nur befugt, Gültigkeitsfragen hinsichtlich entscheidungserheblicher Gemeinschaftsnormen positiv zu beantworten, sie sind hingegen nicht berechtigt, diese für ungültig zu erklären, sondern müssen in solchen Fällen zwingend das Verfahren aussetzen und dem Gerichtshof ein Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit der Norm vorlegen,
vgl. EuGH, Urteile vom 22. Oktober 1987 - Rs. 314/85 - (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rdn. 15 und vom 10. Januar 2006 - Rs. C-344/04 -, Rdn. 22 ff., Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, 2003, EGV Art. 234 Rdn. 42.
Jedenfalls aber ist für die Kammer nicht erkennbar, dass die vom OVG NRW für eine temporäre Durchbrechung des Anwendungsvorrangs geforderte inakzeptable Gesetzeslücke vorläge. Hierfür will das OVG NRW im Anschluss an Jarass/Beljin,
in: NVwZ 2004, 1, 5,
hohe Anforderungen stellen, welche u.a. dann erfüllt sein sollen, wenn aus der Nichtanwendung des nationalen Rechts absehbar eine Gefährdung wichtiger Allgemeininteressen resultiere, diese Gefährdung ersichtlich schwerer wiege als die Beeinträchtigung der durch die jeweils verletzte europarechtliche Vorschrift geschützten Rechtsgüter, und schließlich die Gefährdung der wichtigen Allgemeininteressen nicht anders abgewendet werden könne als durch eine zeitlich begrenzte weitere Anwendung der betroffenen nationalen Rechtsvorschriften. Seien diese Voraussetzungen erfüllt, werde man den Anwendungsvorrang so lange als suspendiert betrachten müssen, bis der nationale Gesetzgeber hinreichend Gelegenheit gehabt habe, den fraglichen Lebensbereich ge- meinschaftsrechtskonform zu regeln, wobei im Rahmen des Vollzugs des danach vorübergehend weiter anwendbaren nationalen Rechts die Organe des Mitgliedstaates jedoch regelmäßig sicherzustellen zu hätten, dass den Anforderungen der verletzten Norm des Gemeinschaftsrechts so weit wie möglich Rechnung getragen werde.
Dass diese hohen Anforderungen erfüllt wären, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die angesprochenen wichtigen Allgemeininteressen (Eindämmung der Spielsucht, Gewährleistung hinreichenden Verbraucherschutzes im Glücksspielbereich, präventive Bekämpfung der dort drohenden Begleit- und Folgekriminalität) durch die sofortige Nichtanwendbarkeit der das staatliche Sportwettenmonopol in Nordrhein-Westfalen begründenden Normen im Übergangszeitraum bis längstens Ende 2007 gefährdet sein sollten.
Insoweit ist darauf zu verweisen, dass zum einen die staatlichen Wettunternehmen in der Vergangenheit jedenfalls bis April dieses Jahres massiv für sich geworben und gerade nicht die Wettsucht bekämpft haben. Zum anderen sind private Wettanbieter, die ihrerseits ebenfalls offensiv geworben haben, teilweise jahrelang - im Hinblick auf die bei dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren - geduldet worden. Es ist für die Kammer schon nicht erkennbar (und auch vom OVG NRW im zitierten Beschluss nicht belegt), dass es dabei bislang zu unerträglichen Konsequenzen gekommen wäre, etwa weil die Spielsucht in gefährlicher Weise zugenommen hätte oder der Verbraucherschutz nicht gewährleistet gewesen wäre. Der bloße Umstand, dass angesichts der starken Zunahme privater Wettanbieter nach einer - gegebenenfalls erfolgenden verfassungs- und europarechtskonformen - Neuregelung des staatlichen Wettmonopols auf die Ordnungsbehörden vermehrter Arbeitsanfall zukommen kann, kann jedenfalls nicht als Gefährdung wichtiger Allgemeininteressen qualifiziert werden. Insofern ist nicht nachvollziehbar, welche unerträglichen Konsequenzen durch die Nichtanwendung der europarechtswidrigen Normen im Übergangszeitraum von höchstens knapp eineinhalb Jahren eintreten sollten.Angesichts der Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung war auch die Zwangsmittelandrohung aufzuheben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.Die Berufung war nach § 124 Abs. 1 und 2 Nrn. 3 und 4 VwGO zuzulassen.