Vermittlung von Sportwetten

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen

Beschluss v. 28.06.2006 - Az.: 4 B 961/06

Leitsatz

1. Sportwetten dürfen in Deutschland nur mit einer deutschen Lizenz angeboten oder vermittelt werden.

2. Das vom BVerfG (Urt. v. 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01) verlangte Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung des staatlichen Monopols ist in Nordrhein-Westfalen gegeben, da entsprechende Maßnahmen im Bundesland eingeleitet wurden.

3. Das allgemeine Prinzip der Rechtssicherheit gebietet es, die Rechtsfolgen einer Kollision mit höherrangigem Recht zu beschränken, um unerträgliche Konsequenzen einer sonst eintretenden Regelungslosigkeit zu vermeiden. Entstünde durch die Nichtanwendung einer nationalen Rechtsvorschrift eine inakzeptable Gesetzeslücke, kann der Vorrang des europäischen Rechts deshalb (vorerst) nicht greifen.

Tenor

1. Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

2. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Sachverhalt

(vgl. Entscheidungsgründe)

Entscheidungsgründe

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die von dem Antragsteller fristgerecht dargelegten Gründe - nur diese hat der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfen - gebieten keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Den (lediglich) formellen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat der Antragsgegner genügt. Es wird erkennbar, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Erwägungen zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt es dabei nicht an. Das Gericht trifft im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vielmehr eine in Würdigung aller einschlägigen Gesichtspunkte vorzunehmende eigene Entscheidung über die Rechtfertigung des Sofortvollzugs.

Vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2000 - 4 B 1558/99 - und aus neuerer Zeit vom 14. Dezember 2005 - 4 B 328/05 -; ferner OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 1994 - 18 B 1171/94 -, NWVBl 1994, 424 m.w.N.

Nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung spricht nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens alles dafür, dass sich die streitige Ordnungsverfügung des Antragsgegners im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird (1.). Eine dies zugrunde legende Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers und der für die Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung streitenden öffentlichen Interessen geht zu Lasten des Antragstellers aus (2.).

1.

Weder hinsichtlich der einschlägigen einfachgesetzlichen Vorschriften (a) noch unter dem Blickwinkel des Art. 12 GG (b) oder der Art. 43, 48, 49 EGV (c) ergeben sich durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung.

a) In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die einfachgesetzlichen Vorschriften in Fällen der vorliegenden Art die Untersagung der Vermittlung von Sportwetten rechtfertigen, wobei es nicht darauf ankommt, ob richtige Ermächtigungsgrundlage § 14 Abs. 1 OBG, § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO oder - wie vereinzelt geltend gemacht wird - § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist.

Vgl. etwa Senatsbeschluss vom 8. November 2004 - 4 B 1270/04 -, juris.

Der Senat hat u. a. in der angeführten Entscheidung ferner im einzelnen dargelegt, dass es sich bei den streitigen Sportwetten um ein Glücksspiel i.S.v. § 284 Abs. 1 StGB handelt, die Veranstaltung dieses Glücksspiels nicht nur am Sitz des Wettunternehmens, sondern auch in dem jeweiligen Geschäftslokal des Vermittlers stattfindet, als Erlaubnis i.S.v. § 284 Abs. 1 StGB nur eine solche nach dem Sportwettengesetz NRW in Betracht kommt und der Vermittler hiervon ausgehend den Tatbestand der Bereitstellung von Einrichtungen für die unerlaubte öffentliche Veranstaltung des Glücksspiels (§ 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB) erfüllt, jedenfalls aber Beihilfe (§ 27 StGB) zur Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel (§ 285 StGB, begangen durch die Wetter) und zur unerlaubten öffentlichen Veranstaltung eines Glücksspiels (§ 284 Abs. 1 Alt. 1 StGB, begangen durch das Wettunternehmen) leistet. Gesichtspunkte, die diese Beurteilung durchgreifend in Frage stellen, sind auch mit der Beschwerdebegründung im vorliegenden Verfahren nicht vorgetragen worden.

b) Der angegriffenen Untersagungsverfügung steht auch nicht das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) entgegen.

aa) Der Senat legt dabei allerdings zugrunde , dass das staatliche Monopol für Sportwetten, das nach § 284 StGB i.V.m. den Vorschriften des Sportwettengesetzes NRW auch in Nordhrein-Westfalen besteht, in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar ist. Insoweit folgt der Senat den Feststellungen und Bewertungen des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtslage nach dem Bayerischen Staatslotteriegesetz vom 29. April 1999 in dem Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -, www.bverfg.de, die auf die in Nordrhein-Westfalen geltende Rechtslage in allen wesentlichen Punkten übertragbar sind.

bb) Der Senat geht aber davon aus, dass das Sportwettengesetz NRW in seiner gegenwärtigen Fassung nach Maßgabe der Gründe der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weiter anwendbar ist und das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung solcher Wetten weiterhin ordnungsrechtlich unterbunden werden können.

(a) Dem steht nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Übergangsregelung bisher nur im Hinblick auf das Bayerische Staatslotteriegesetz getroffen hat. Denn vorliegend kommt es maßgeblich auf eine Prognose über den Ausgang des Hauptsacheverfahrens an, das aller Voraussicht nach - sei es im Wege der Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, sei es auf aufgrund einer Verfassungsbeschwerde gegen die letztinstanzliche verwaltungsgerichtliche Entscheidung - zu einer entsprechenden Regelung für Nordrhein-Westfalen führen wird, falls das Bundesverfassungsgericht eine solche Anordnung nicht bereits vorher in einem anderen Verfahren ausgesprochen haben sollte.

(b) Soweit das Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit verlangt hat, dass ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung des staatlichen Monopols andererseits dadurch herzustellen ist (a.a.O., Rdn. 157), dass

- damit begonnen wird, das bestehende Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht und einer Begrenzung der Wettleidenschaft auszurichten,

- der Staat die Übergangszeit nicht zu einer expansiven Vermarktung von Wetten nutzt,

- bis zur Neuregelung die Erweiterung des Angebots staatlicher Wettveranstaltungen sowie eine Werbung, die über sachliche Informationen zur Art und Weise der Wettmöglichkeit hinausgehend gezielt zu Wetten auffordert, unterbleibt sowie

- im Rahmen der staatlichen Lotterieveranstaltungen umgehend aktiv über die Gefahren des Wettens aufzuklären ist (a.a.O., Rdn. 160),

ist diesen Maßgaben in Nordrhein-Westfalen genügt.

Das Innenministerium NRW hat mit Schreiben vom 19. April 2006 der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG eine Vielzahl von Maßnahmen aufgegeben, die den in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angesprochenen Gesichtspunkten ausreichend Rechnung tragen. Hinsichtlich des Wettangebots ist angeordnet worden, dass Wetten nicht auf Halbzeitergebnisse, rote Karten, Platzverweise sowie Eckstöße etc. abgeschlossen werden dürfen und grundsätzlich keine Live-Wetten angeboten werden.

Die Werbung soll auf Informationen zur Art und Weise der Wettmöglichkeiten ohne Aufforderungscharakter (Animationssprüche, emotionale Bilder etc.) beschränkt werden, wobei TV- und Radiowerbung, Bandenwerbung in den Stadien, Trikotwerbung, Gewinnspiele zu Oddset in den Medien, Oddset-Werbung über Großplakate und Werbeterminals sowie die Durchführung von Promotion-Aktionen auf Messen, Jahrmärkten etc. generell verboten sind. Die Vertriebskanäle sollen auf das Annahmestellennetz und das Internet beschränkt werden. Oddset-Wetten sollen künftig nur noch über Kundenkarten abgeschlossen werden können. Beim Vertrieb im Wege des Internets soll eine Begrenzung des Spieleinsatzes pro Woche und Kundenkonto auf 250,00 Euro vorgesehen werden.

Wetten über SMS und interaktives TV sind demgegenüber verboten. Weiterhin sind der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG vielfältige Maßnahmen zur Suchtprävention aufgegeben worden: Auf den Spielscheinen sind ein Hinweis auf die Suchtgefahr sowie Telefonnummern von Suchtberatungsstellen aufzudrucken. Entsprechende Hinweise sind in das Internet-Angebot aufzunehmen. Auch in den Annahmestellen sowie auf jeder Information zur Oddset-Wette und bei Werbemaßnahmen ist auf die Suchtgefahr hinzuweisen. In den Annahmestellen soll sicher gestellt werden, dass hohe Spieleinsätze erfasst werden. Weiterhin soll ein Verfahren entwickelt werden, dass eine Begrenzung der Spieleinsätze in den Annahmestellen je Spielauftrag und Kunde vorsieht und bei Verdachtsmomenten Maßnahmen bis hin zum Ausschluss von der Spielteilnahme ermöglicht. Das Vertriebspersonal in den Annahmestellen soll schließlich in den Bereichen Sucht, Geldwäsche und Begleitkriminalität geschult werden. Ausweislich des Berichts der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG vom 6. Juni 2006 an das Innenministerium NRW werden die geforderten Maßnahmen im Rahmen ihrer zeitlichen Realisierbarkeit auch umgesetzt.

Die Wettgegenstände sind entsprechend der Aufforderung des Innenministeriums begrenzt worden, ebenso wie die grundsätzlich untersagten Werbemaßnahmen eingestellt und die nach Maßgabe des Schreibens des Innenministeriums noch erlaubte Werbung inhaltlich überprüft und korrigiert worden sind. Das Alter der Wetter, die im Internet Wetten abschließen, wird geprüft. Auch sind die Vertriebskanäle gemäß dem Schreiben des Innenministeriums begrenzt und eine Vielzahl von Maßnahmen zur Suchtprävention ergriffen bzw. erarbeitet worden.

Anhaltspunkte dafür, dass den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts für die Übergangszeit in wesentlichen Punkten nicht entsprochen wäre, vermag der Senat vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Dass einige Maßnahmen einer gewissen Umsetzungszeit bedürfen - etwa der Austausch der Werbemittel vielfach nicht sofort gelingt - liegt in der Natur der Sache und rechtfertigt nicht den Schluss, dass ein erheblicher Verstoß gegen die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts für die Übergangszeit vorliegt. Vor diesem Hintergrund rechtfertigen nach summarischer Prüfung auch die von dem Antragsteller angesprochenen Werbemaßnahmen - soweit sie inhaltlich zu beanstanden sind - keine für ihn günstigere Beurteilung.

(c) Hiervon ausgehend ergibt sich nicht nur die weitere Anwendbarkeit des Sportwettengesetzes NRW, sondern auch der §§ 284 f. StGB, soweit diese Normen ein Repressivverbot für Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis enthalten.

Vgl. insoweit auch BVerwG, Urteil vom 28. März 2001 - 6 C 2.01 - , BVerwGE 114, 92.

Auf die vom Bundesverfassungsgericht allein offen gelassene Frage, ob diese Vorschriften in der Übergangszeit Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung sein können, vgl. BVerfG, a.a.O., Rdn. 159 (zu § 284 StGB), kommt es für die Rechtmäßigkeit der streitigen Untersagungsverfügung nicht an.

Vgl. auch Widmaier, Strafrechtliche Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - für die Zeit bis zur Neuregelung des Rechts der Sportwetten, Rechtsgutachten im Auftrag des Verbandes Europäischer Wettunternehmer, S. 13.

c) Die angefochtene Untersagungsverfügung erweist sich auch nicht im Hinblick auf die durch Art. 43, 48 und 49 EGV gewährleistete Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit als rechtswidrig.

aa) Allerdings geht der Senat davon aus, dass sich die gegenwärtige Rechtslage in Nordrhein-Westfalen in derselben Weise im Widerspruch zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit befindet, wie sie dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG widerspricht. Dies folgt daraus, dass die vom Europäischen Gerichtshof insoweit zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben,

vgl. insbesondere Urteil vom 6. November 2003 - C 243/01 - Gambelli u. a., Slg. 2003, I- 13076 Rdn. 62 ff.,

und die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel laufen. Nach der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Unterbindung der Vermittlung von Sportwetten in andere Mitgliedsstaaten mit dem Gemeinschaftsrecht nämlich nur vereinbar, wenn ein Staatsmonopol wirklich dem Ziel dient, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen nur eine Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist. Die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entsprechen damit denen des Grundgesetzes.

Vgl. BVerfG, a.a.O., Rdn. 144.

Die Annahme des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss, den europarechtlichen Anforderungen sei durch jene Maßnahmen des Innenministeriums und der Westdeutschen Lotteriegesellschaft genügt, die soeben unter 1 b) bb) (b) erörtert worden sind, begegnet hiervon ausgehend jedenfalls deshalb Bedenken, weil das Bundesverfassungsgericht den Widerspruch der bayerischen Gesetzeslage zu Art. 12 Abs. 1 GG nicht (allein) aus dem tatsächlichen Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen, sondern aus einem Defizit der gesetzlichen Regelung selbst hergeleitet hat. Dieses Defizit, das für Nordrhein-Westfalen entsprechend anzunehmen ist, wird aber durch die Anordnungen des Innenministeriums NRW und deren Umsetzung durch die Westdeutsche Lotteriegesellschaft nicht beseitigt.

So zutreffend insbesondere VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2006 - 1 L 379/06 - .

bb) Aus dem mithin bestehenden Widerspruch zwischen den einfachgesetzlichen Regelungen, welche die streitige Untersagungsverfügung tragen, und den genannten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts dürfte gleichwohl nichts für die Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung herzuleiten sein.

Den in Rede stehenden Vorschriften des EGV kommt zwar grundsätzlich Anwendungsvorrang zu. Dieser Vorrang hat regelmäßig zur Folge, dass jedes Organ eines Mitgliedstaates verpflichtet ist, die mit dem EG-Recht unvereinbare nationale Norm nicht anzuwenden, „ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste."

Vgl. EuGH, Urteil vom 9. März 1978 - Rs. 106/77 -, Slg. 1978, I-629.Dem Anwendungsvorrang des EG-Rechts und der damit korrespondierenden Nichtanwendungspflicht hinsichtlich des nationalen Rechts sind jedoch gewisse Grenzen gesetzt. Dass bei der Kollision von Normen oder sonstigen Rechtsakten mit höherrangigem Recht sich letzteres nicht stets unbeschränkt durchsetzt, ist nicht nur im Gemeinschaftsrecht bei der Überprüfung von Gemeinschaftsakten durch den Europäischen Gerichtshof grundsätzlich anerkannt (Art. 231 Abs. 2 EGV), vgl. dazu Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, EGV Art. 231 Rdn. 6, sondern etwa auch im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle im Hinblick auf die bei einem Verfassungsverstoß regelmäßig eintretende Nichtigkeitsfolge, vgl. dazu etwa Schulze-Fielitz, Wirkung und Befolgung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 385 (389); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. Aufl., Rdn. 405 ff., und ebenfalls im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO. Vgl. dazu z.B. Ziekow, in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 47 Rdn. 357 m.w.N.

Insbesondere das im deutschen wie im Gemeinschaftsrecht geltende allgemeine Prinzip der Rechtssicherheit, vgl. zum EG-Recht etwa: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 220 EGV Rdn. 16; ferner Ehricke, a.a.O., m.w.N., kann es gebieten, die Rechtsfolgen einer Kollision mit höherrangigem Recht zu beschränken, um unerträgliche Konsequenzen einer sonst eintretenden Regelungslosigkeit zu vermeiden. Dies gilt innerhalb des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts wie im Verhältnis dieser beiden Rechtsordnungen zueinander im Grundsatz gleichermaßen. Entsteht durch die Nichtanwendung einer nationalen Rechtsvorschrift eine inakzeptable Gesetzeslücke, kann der Vorrang des europäischen Rechts deshalb (vorerst) nicht greifen. Vgl. dazu insbesondere Jarass/Beljin, Die Bedeutung von Vorrang und Durchführung des EG-Rechts für die nationale Rechtsetzung und Rechtsanwendung, NVwZ 2004, S. 1 ff. (5) m.w.N. aus der Literatur.

Der Europäische Gerichtshof hat sich zwar bisher einer eindeutigen Aussage zu einer solchen Begrenzung des Anwendungsvorrangs enthalten, sich aber doch um den Nachweis bemüht, dass im Einzelfall durch die Anwendung von EG-Recht keine nicht hinnehmbare Gesetzeslücke entsteht. Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 30. April 1996 - C-194/94-, Slg. 1996, I-2201 Rdn. 52 f.; Jarass/Beljin, a.a.O., m.w.N.; ferner (zur zeitlichen Beschränkung von Entscheidungen des EuGH zur Auslegung von Gemeinschaftsrecht) die Schlussanträge der Generalanwälte vom 17. März 2005, Rdn. 84 ff., und vom 14. März 2006, Rdn. 135 ff., in der Rechtssache C- 475/03.

An das Vorliegen einer derartigen inakzeptablen Gesetzeslücke, die zu einer (temporären) Durchbrechung des Anwendungsvorrangs führt, sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen. Diese Anforderungen sind nach Überzeugung des Senats u.a. dann erfüllt, wenn aus der Nichtanwendung des nationalen Rechts absehbar eine Gefährdung wichtiger Allgemeininteressen resultiert, diese Gefährdung ersichtlich schwerer wiegt als die Beeinträchtigung der durch die jeweils verletzte europarechtliche Vorschrift geschützten Rechtsgüter, und schließlich die Gefährdung der wichtigen Allgemeininteressen nicht anders abgewendet werden kann als durch eine zeitlich begrenzte weitere Anwendung der betroffenen nationalen Rechtsvorschriften. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird man den Anwendungsvorrang so lange als suspendiert betrachten müssen, bis der nationale Gesetzgeber hinreichend Gelegenheit hatte, den fraglichen Lebensbereich gemeinschaftsrechtskonform zu regeln.

Im Rahmen des Vollzugs des danach vorübergehend weiter anwendbaren nationalen Rechts werden die Organe des Mitgliedstaates jedoch regelmäßig sicherzustellen haben, dass den Anforderungen der verletzten Norm des Gemeinschaftsrechts so weit wie möglich Rechnung getragen wird.

In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Vorschriften der §§ 284 f. StGB und des Sportwettengesetzes NRW auch vor dem Hintergrund der genannten europarechtlichen Vorschriften nach denselben (zeitlichen wie materiellen) Maßgaben vorübergehend anwendbar bleiben, wie es das Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) im Ergebnis für das bayerische Recht angenommen hat: Die sofortige Nichtanwendbarkeit der das staatliche Sportwettenmonopol in Nordrhein-Westfalen begründenden Normen hätte zur Folge, dass die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten allein den Schranken des allgemeinen Gewerberechts unterlägen.

Die dort vorgesehenen Begrenzungen gewerblicher Tätigkeit genügen den spezifischen Gefahren des Glücksspiels indes nicht. Insbesondere bietet das allgemeine Gewerberecht keine hinreichenden Instrumente zur Eindämmung der Spielsucht, zur Gewährleistung hinreichenden Verbraucherschutzes im Glücksspielbereich und zur präventiven Bekämpfung der dort drohenden Begleit- und Folgekriminalität. Vgl. zur Notwendigkeit glücksspielspezifischer Beschränkungen etwa auch die in der EuZW 2006, 290, wiedergegebenen Äußerungen des zuständigen EU-Kommissars McCreevy.

Die insoweit betroffenen erheblichen Belange des Allgemeininteresses, vgl. dazu im einzelnen BVerfG, a.a.O., Rdn. 98 ff., wiegen zudem ersichtlich schwerer als das Interesse der privaten Wettanbieter und Vermittler, bis zu einer Neuregelung des Sportwettenrechts (weiterhin) freien Zugang zum Sportwettenmarkt zu haben. Dabei stellt der Senat nicht nur die unter den Gesichtspunkten der Spielsucht, des Verbraucherschutzes sowie der Begleit- und Folgekriminalität in der Zeit bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber drohenden Gefahren in Rechnung, sondern berücksichtigt andererseits, dass die von den Vermittlern und Anbietern getroffenen Investitionsentscheidungen vor dem Hindergrund einer für alle erkennbar unklaren Rechtslage getroffen worden sind und deshalb von vornherein mit dem Risiko behaftet waren, sich nur vorübergehend oder gar nicht amortisieren zu können; mit einer entsprechenden Unsicherheit waren von Anfang an auch die bei Wettveranstaltern und -vermittlern geschaffenen Arbeitsplätze belastet.

Der Senat vermag schließlich nicht zu erkennen, dass der gegebenen Gefahrenlage anders begegnet werden könnte als durch eine nach den Maßgaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beschränkte weitere Anwendung der in Kraft befindlichen nationalen Rechtvorschriften.

Dafür, das vorliegende Verfahren auszusetzen und in einem Vorlageverfahren nach Art. 234 EGV die Frage klären zu lassen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang in Fällen der vorliegenden Art der Anwendungsvorrang des EG-Rechts begrenzt ist, ist nach Ansicht des Senats im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Sache kein Raum; da es insoweit nur um die Auslegung von EG-Recht, nicht aber um die Wirksamkeit von Gemeinschaftsrecht geht, ist der Senat zu einer solchen Vorlage im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch nicht verpflichtet. Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 80 Rdn. 164, Dörr, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., EVR Rdn. 127, jeweils m.w.N.

2.

Die danach vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Suspensivinteresse des Antragstellers hinter die öffentlichen Interessen zurücktritt, die für die Vollziehung der aller Voraussicht nach rechtmäßigen Ordnungsverfügung streiten. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die entsprechenden Erwägungen unter 1 c) bb). Mit Blick auf die mangelnde Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren hält der Senat die aufgezeigte abstrakte Gefährlichkeit der Tätigkeit des Antragstellers für ausreichend, um einen Vorrang des Vollziehungsinteresses zu bejahen. Unabhängig davon geht von der Sportwettenvermittlung durch den Antragsteller jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Spielsucht und ihrer Folgen aber auch eine konkrete Gefahr aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.