Vermittlung von Sportwetten; Aussetzung des Verfahrens wegen EuGH-Vorlage
Leitsatz
Das Verfahren wird ausgesetzt bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlage des VG Gießen (Beschl. v. 07.05.2007 - 10 E 13/07).
Tenor
In der Verwaltungsstreitsache (...) gegen (...) wegen Vermittlung von Sportwetten erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg, 4. Kammer, ohne mündliche Verhandlung am 18. Februar 2008 folgenden Beschluss:
Das Verfahren wird ausgesetzt bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorlage des Verwaltungsgerichts Gießen (Beschluss vom 7.5.2007 - 10 E 13/07).
Sachverhalt
s. Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe
Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Bescheid, mit dem der Klagepartei das Vermitteln von Sportwetten für einen Anbieter aus einem anderen EU-Staat untersagt wird.
Bei der vorliegenden Anfechtungsklage gegen dieses Verbot ist für die gerichtliche Beurteilung voraussichtlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend (Verwaltungsgerichtshof Mannheim, Beschl. v. 28.3.2007 - 7 S 1972/06 - Juris Rd.Nr. 5 zum Verbot der Vermittlung von Sportwetten). Denn es handelt sich bei der streitgegenständlichen Untersagung um einen Dauerverwaltungsakt ebenso wie z.B. bei einer Gewerbeuntersagung, für die dieser maßgebliche Zeitpunkt in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt ist (BVerwG, Urt. v. 9.3.2005 - 6 C 11.04 - NVwZ 2005, 961; in diese Richtung weist auch die Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 22.11.2007 - 1 BvR 2281/06 - Juris Rd.Nr. 38).
Folgt man dieser Auffassung, so sind im vorliegenden Fall neben den Vorschriften des Europarechts und des Grundgesetzes insbesondere der von den Bundesländern geschlossene, ab 1.1.2008 gültige Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag - GlüStV - GVBl. 2007, 906 und das Bayerische Ausführungsgesetz hierzu (AG GlüStVv. 20.12.2007, GVBl. 2007, 922) maßgeblich.
Die angefochtene Untersagungsverfügung ist daraufhin zu überprüfen, ob der Glücksspielstaatsvertrag 2008 eine gültige Rechtsgrundlage bildet. Was die Vereinbarkeit mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG betrifft, sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 28.3.2006 - 1 BvR 1064/01 - BVerwGE 115, 318) maßgeblich. Was die Vereinbarkeit mit Europarecht betrifft, ist dessen Interpretation durch den europäischen Gerichtshof zu beachten.
Im Urteil vom 6.11.2003 (C-243/01 - "Gambelli") hat der EuGH in Fortführung seiner bisherigen Rechtssprechung entschieden, dass Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 43 und 49 EG-Vertrag) aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein können.
Jedoch müssten Beschränkungen, die auf den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen zu überhöhten Ausgaben für das Spielen abzielten, geeignet seien, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie "kohärent und systematisch" zur Begrenzung des Wetten beitragen.
Wenn auch der Glücksspielstaatsvertrag 2008 in mehreren Punkten erkennen lässt, dass er sich an den europarechtlich akzeptierten Zweckbestimmungen orientieren will, bleiben in einem Punkt Zweifel, nämlich insofern, als die nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 28.3.2006 a.a.O.) mit einem besonderen Suchtpotential belasteten Geldspielautomaten von den Regelungen des Staatsvertrags nicht erfasst und weiterhin über Genehmigungen nach der Gewerbeordnung angeboten werden.
Unter dem Gesichtspunkt einer "kohärenten und systematischen Begrenzung der Wetttätigkeit", wie sie der EuGH fordert, wäre dies nur dann unschädlich, wenn der Glücksspielmarkt in verschiedene Sektoren aufgeteilt werden könnte. Das ist europarechtlich nicht abschließend geklärt.
Zwar hält es z.B. das OVG Hamburg (Beschl. v. 9.3.2007 - 1 Bs 378/06 - NVwZ 2007, 725) bezüglich der Sportwetten für irrelevant, in welcher Weise für Lotto und Toto geworben wird, weil es sich insoweit "um andere Glücksspielsektoren" handle. Ob sich eine "kohärente und systematische" Vorgehensweise darauf beschränken kann, Teile des Glücksspielmarktes herauszugreifen und auf ihnen ein staatliches Monopol mit der Begründung einer Eindämmung der Spielsucht zu errichten, andere ebenfalls suchtträchtige Bereiche dagegen nicht zu reglementieren, ist bisher aber nicht Gegenstand einer eindeutigen Aussage des Europäischen Gerichtshofs, die als Maßstab für die den nationalen Gerichten aufgetragene Prüfung (EuGH, Urt. v. 6.11.2003 a.a.O., RdNr. 66, 75) dienen könnte.
In der EuGH-Rechtsprechung ist ganz allgemein vom "Glücksspielsektor" die Rede bzw. von der Betätigung privater Unternehmen auf dem Glücksspielsektor und ihrem Ausschluss durch staatliche Maßnahmen (EuGH, Urt. v. 6.3.2007 - C-338/04 - "Placanica" RdNrn. 42, 64, 65, 72). Das einem Monopol entgegenstehende widersprüchlichem Verhalten des Staates beschreibt der Europäischen Gerichtshof damit, dass Mitgliedstaaten "die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen" (Urt. v. 6.11.2003 a.a.O. RdNr. 69).
Diesen Äußerungen kann man nicht entnehmen, dass der Europäischen Gerichtshof das eingangs beschriebene Problem bewusst aufgeworfen und behandelt hätte. Die den nationalen Gerichten obliegende Prüfung ist erst möglich, wenn die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs in allen wesentlichen Punkten eindeutig sind. Das ist bisher nicht der Fall. Die Kammer möchte in die bisherigen Äußerungen des Europäischen Gerichtshofs nichts hineinlesen, was dort nicht enthalten ist. Eine eindeutige Aussage des Europäischen Gerichtshofs ist umso wichtiger, als es hier um Streitigkeiten mit einer ganz erheblichen finanziellen Tragweite geht.
Daher stellt sich nach wie vor die Frage der Vereinbarkeit der nationalen Regelungen mit dem Europarecht. Das würde auch gelten, wenn man auf die Vorgängerregelung des Glücksspielstaatsvertrags 2008 abstellen wollte (Lotterie-Staatsvertrag 2004). In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht Gießen durch Beschluss vom 7.5.2007 (10 E 13/07) dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:
Sind die Artikel 43 und 49 EGV dahingehend auszulegen, dass sie einem innerstaatlichen Monopol auf bestimmte Glücksspiele, wie z. B. Sportwetten entgegenstehen, wenn es in dem betreffenden Mitgliedsstaat insgesamt an einer kohärenten und systematischen Politik zur Beschränkung des Glückssiels fehlt, insbesondere weil die innerstaatlich konzessionierten Veranstalter zur Teilnahme an anderen Glücksspielen - wie staatliche Lotterien und Casinospielen - ermunternd und ferner andere Spiele mit gleichem oder höherem mutmaßlichem Suchtgefährdungspotential - wie Wetten auf bestimmter Sportereignisse (wie Pferderennen) und Automatenspiel -von privaten Dienstleistungsanbietern erbracht werden dürfen?
Auf diese Frage kommt es auch im vorliegenden Rechtsstreit an. Entsprechend § 94 VwGO wird daher das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ausgesetzt.