Strafbarkeit von Sportwetten-Vermittlung an EU-Anbieter
Leitsatz
Die Vermittlung von Sportwetten an einen Anbieter mit EU-Lizenz ist nicht strafbar, da § 284 StGB iVm. mit den sportwettenrechtlichen Regelungen des Landes Baden-Württemberg EU-Gemeinschaftsrechts (Art. 43 und 49 EG) verletzt und daher nicht anwendbar ist.
Hinweis: Die Entscheidung des AG wurde in der Beschwerde-Instanz durch das LG Ravensburg (Beschluss v. 29.08.2006 - Az.: 2 Qs 89/06) bestätigt.
Tenor
In der Strafsache gegen (...)
wegen
Unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels
wird die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse.
Sachverhalt
(vgl. Entscheidungsgründe)
Entscheidungsgründe
1.
Dem Angeklagten wird mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Ravensburg vom 16.12..2005 vorgeworfen, als Inhaber der Gaststätte (...) in (...) habe er sich im Zeitraum zwischen dem 13.01.2005 und dem 09.03.2005 bei der Vermittlung von Oddset- Sportwetten betätigt, die über das Internet von der Fa. (...) durchgeführt werden.
Hierfür nehme der Angeschuldigte einerseits Wettscheine, die von den jeweiligen Spielern in seiner Gaststätte ausgefüllt worden seien zusammen mit dem Wetteinsatz entgegen.
Andererseits hätte im Tatzeitraum die Spielteilnahme auch über sogenannte „Betomaten", das heißt auf elektronischem Wege anstatt durch die Einreichung von handschriftlichen Spielscheinen erfolgen können. Die Wetteinsätze würden in beiden Fällen immer im voraus entrichtet und vom Angeschuldigten nach Abzug der ihm zustehenden Provision an den Veranstalter in Österreich weitergeleitet.
Der Angeschuldigte verfüge dabei nicht über die - wie er wusste - dafür notwendige Erlaubnis der Ordnungsbehörde der Stadt Ravensburg.
Der Angeschuldigte führe die Vermittlung durch, um dadurch - ebenso wie im Falle der Veranstalter - Einnahmen für seinen Lebensunterhalt zu erzielen, die auf eine gewisse Dauer angelegt gewesen seien.
Daher wird der Angeschuldigte beschuldigt, vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat (gewerbsmäßiges unerlaubtes Veranstalten eines Glücksspiels) Hilfe geleistet zu haben,
strafbar als Beihilfe zum gewerbsmäßigen unerlaubten Glücksspiel gemäß der §§ 284 Abs.1 und 3 Nr.1, 27 StGB.
2.
Im vorliegenden Verfahren ist nach Auffassung des Gerichts kein hinreichender Tatverdacht gegeben, da § 284 Abs.1 StGB i.V. mit § 2 Abs.1 Nr.2 Staatslotteriegesetz Baden-Württemberg vom 14.12.2004 (GBI. S.894) i.V. mit § 3 Abs.1 des Staatsvertrages zum Lotteriewesen in Deutschland (GBI.2004 S.274) in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung, soweit er - wie vorliegend - die in Deutschland stattfindende Vermittlung (durch den Angeschuldigten) von Sportwetten eines in einem anderen europäischen Mitglied Staat (hier: Österreich) ansässigen und dort konzessionierten Sportwettveranstalters (hier: Firma (...);Bewilligungsbescheid des Amtes der Vorarlberger Landesregierung vom (...) Bl.79ff. d.A.) und damit auch dessen Veranstaltung von Glückspielen in Baden- Württemberg erfasst, (denn der Firma (...) vird durch einen Vermittler (den Angeschuldigten) die Möglichkeit eröffnet, in Baden- Württemberg Angebote zum Abschluss von Wettverträgen abzugeben (§ 9 StGB)) unter Zugrundelegung der Grundsätze der „Gambelli- Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, (Urteil vom 06.11.2003 - Rs. C-243/01, NJW 2004, 139) nicht mit dem Europarecht vereinbar und muss aufgrund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf die in Artikeln 43 und 49 EG garantierte Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit unangewendet bleiben.
Damit entfällt auch die Grundlage dafür, die als Beihilfehandlung zu qualifizierende Tätigkeit des Angeschuldigten nach dem Grundsatz der Akzessorietät der Teilnahme mangels vorsätzlicher rechtswidriger Tat (§ 27 Abs.1 StGB) als strafbares Verhalten zu werten und dementsprechend auch der hinreichende Tatverdacht.
Ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht, was bei den Grundfreiheiten Art.43 und 49 EG der Fall ist, führt wegen des Vorranges des Gemeinschaftsrechts automatisch zur Nichtanwendbarkeit der gemeinschaftswidrigen nationalen Norm. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. grundlegend EuGH, Rs. 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251 ff. und EuGH, Rs. 103/88 (Fratelli Constanzo), Slg. 1989, 1839ff.) sind die mitgliedstaatlichen Gerichte und Behörden verpflichtet, die entgegenstehende innerstaatliche Vorschrift außer Anwendung zu lassen.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber einfachem deutschem Recht bereits mehrfach vorbehaltlos anerkannt (vgl. grundlegend BVerfG 31, 145, 173f.)
Hieran ändert auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 28.März 2006 nichts, denn dem Recht der Europäischen Gemeinschaften und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind Übergangsfristen, während derer nationales Recht trotz seiner Unvereinbarkeit mit dem EG- Vertrag weiter anwendbar ist, fremd.
a) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 6.November 2003 (Rs C-243/01- (Gambelli), abgedruckt unter anderem in NJW 2004, 139) entschieden, dass nationale Regelungen, die strafbewehrte Verbote des Sammeins, der Annahme und der Übertragung von Sportwetten enthalten, Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nach den Art.43 und 49 EG darstellen, wenn der betreffende Mitgliedstaat (wie hier) keine Genehmigungen erteilt.
Diese Beschränkungen müssen in ihren konkreten Anwendungsmodalitäten aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Ereichung dieses Zieles erforderlich ist.
Auf jeden Fall müssen sie in nicht diskriminierender Weise angewandt werden. Zu den zwingenden Gründen das Allgemeininteresses, welche Beschränkungen der Spieltätigkeiten rechtfertigen können, gehört unter anderem die Vermeidung von Anreizen zu überhöhten Ausgaben für das Spielen.
Unverhältnismäßig können strafrechtliche Sanktionen für das Durchführen von Wetten mit Veranstaltern in einem anderen Mitgliedstaat der EU vor allem dann sein, wenn zur Teilnahme an Wetten ermutigt wird, sofern sie von staatlich zugelassenen nationalen Einrichtungen organisiert werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Beschlüssen vom 26.08.2004 (1 BvR 1446/04), 15.12.2004 (1 BvR 2495/04) und vom 27.04.2005 (1 BvR 223/05) eindeutig festgestellt, dass die „Gambelli"- Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes und die dort erfolgte Klärung von Rechtsfragen für deutsche Gerichte bindend ist.
b) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28.März 2006 (Az.: 1 BvR 1054/01) bei der Prüfung, ob die dem Staatslotteriegesetz Baden- Württemberg ähnlichen bayerischen Vorschriften, die der Erteilung einer Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten an einen nichtstaatlichen Bewerber entgegenstehen, mit dessen durch Art. 12 Abs.1 GG geschützter Berufsfreiheit vereinbar ist, Wertungen aufgestellt, welche auch für die Beantwortung der Frage maßgeblich ist, ob die tatsächliche und rechtliche Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols in Deutschland den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entspricht.
Diese vom Europäischen Gerichtshof in seiner vorgenannten Entscheidung vom 6. November 2003 formulierten Vorgaben entsprechend denen des Grundgesetzes (BVerfG, aaO, Rn.144).
Die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts laufen somit parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof formulierten Vorgaben.
Daher ist insoweit der Beschluss des VGH Mannheim vom 12.01.2005 (Az.: 6 S 1287/04) durch diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überholt.
Denn das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass das in Bayern errichtete staatliche Wettmonopol auch unter Berücksichtigung des von sämtlichen Ländern ratifizierten Lotteriestaats vertrag es einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellen. Denn es ist in einer Weise ausgestattet, die eine effektive Suchtbekämpfung nicht sicherstellt. Das bestehende staatliche Monopol für Sportwetten in seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung ist nicht konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und aktiven Bekämpfung der Wettsucht ausgerichtet, sondern vielmehr stehen fiskalische Interessen im Vordergrund. Diese Unverhältnismäßigkeit erfasst auch den Ausschluss der Vermittlung nichtstaatlicher Wetten.
Diese vom Bundesverfassungsgericht für die Rechtslage in Bayern vorgenommene Anwendung dieser Grundsätze ist auf den Rechtszustand in Baden- Württemberg zu übertragen. Die Rechtslage weist in diesen beiden Bundesländern keine wesentlichen Unterschiede auf. Auch in Baden- Württemberg besteht mit dem Staatslotteriegesetz vom 14.12.2004 (GBI. S.894) ein mit Bayern vergleichbares staatliches Monopol mit einem Ausschluss der Veranstaltung derartiger Wetten durch Private {vgl. § 2 Abs.1 Nr.2 StLG).
Die Eröffnung des Hauptverfahrens war daher gemäß § 204 StPO aus rechtlichen Gründen abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs.1 StPO.