Leitsatz
1. Ein Spiel mit einer 0190-Rufnummer und einem Entgelt von 3,60 EUR / Anruf ist als Glücksspiel anzusehen.
2. Werden Zufalls- und Geschicklichkeitselemente in einem gemeinsamen Spiel miteinander vermischt, reicht dies für
die Bejahung des Zufalls für das gesamte Spiel aus.
3. Hat sich der Täter vor Aufnahme eines Glücksspiels anwaltlich beraten lassen und hat er auf die anwaltliche Zusage, es handle
sich um ein strafloses Gewinnspiel vertraut, liegt ein Tatbestands-Irrtum vor, der zur Nichtbestrafung führt.
Tenor
Das Amtsgericht Mönchengladbach hatte zu beurteilen, ob die Angeklagten, die ein telefonisches Gewinnspiel anbieten, bei dem jeder tausendste Anrufer eine Frage mit zwei Antwortmöglichkeiten beantworten muss, wegen Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels zu verurteilen sind.
Sachverhalt
Die Angeklagten betreiben seit Herbst 2001 ohne behördliche Erlaubnis unter einer 0190er-Servicenummer ein Telefongewinnspiel, bei dem jeder Anrufer 2,00 Euro bzw. ab 2002 3,60 Euro pro Minute zahlen musste. Jedem tausendsten, zehntausendsten, hunderttausendsten und millionsten Anrufer wird eine Frage gestellt. Die zuletzt gestellte Frage lautete: Wer moderiert die Sendung " Wer wird Millionär bei RTL ? " a) Günther Jauch, b) Stefan Raab ; Bei richtiger Beantwortung der Frage erhalten die Anrufer einen Gewinn.
Die Angeklagten haben die Idee des Telefongewinnspiels geschaffen, haben die Spielregeln aufgestellt, haben über den 0190-Service die Telefonhotline bereitgestellt und sind finanziell verantwortlich. Aus dem Vorgehen wollten sich die Angeklagten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle verschaffen.
Vor Beginn des Betreiben des Telefongewinnspiels holte der Angeklagte B ein Rechtsgutachten von dem Rechtsanwalt J ein, der zu dem Ergebnis kam, dass das beabsichtigte Spiel kein Glücksspiel darstellt, da er davon ausging, dass ein Glücksspiel dann nicht vorliege, wenn Gewinn und Verlust nicht allein oder hauptsächlich vom Zufall abhänge. Ausgehend von den Spielregeln kam er zu dem Ergebnis, dass der Faktor Zufall nicht vorliege, weil der Gewinn oder Verlust letztlich ausschließlich von der Beantwortung einer Quizfrage und damit von den Fähigkeiten und Kenntnissen der Mitspieler abhänge.
Nach Inbetriebnahme des Spiels erschien ein Artikel in der Zeitung Rheinische Post mit dem Inhalt: Ein Mönchengladbacher will in einem Jahr hundert Menschen reich machen: Am laufenden Band per 0190-iger Nummer und im TV. Millionärs-Sender RTL reagiert zurückhaltend; Aufgrund dieses Artikels erstattete eine anonyme Person bei der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach Anzeige wegen Verdachts auf unerlaubte Veranstaltung von Glücksspielen und Verdachts auf Irreführung der Öffentlichkeit. Der sachbearbeitende Staatsanwalt stellte das Verfahren ein, da seiner Meinung nach kein Glücksspiel vorlag, da dem Anrufer beim Anruf gesagt wurde, der wievielte Anrufer er ist und somit zu ermitteln ist, wann die Million erreicht ist.
Um Bedenken, die der Verteidiger des Angeklagten B, von Dritter Seite gehört hatte, auszuräumen, riet er dem Angeklagten zu dieser Frage ein Rechtsgutachten von einem renommierten Strafverteidiger einzuholen und empfahl den Rechtsanwalt R, der als Fachanwalt für Strafrecht in Köln tätig ist. In dem daraufhin von R verfassten Gutachten legte dieser dar, dass folgende Voraussetzungen der Definition für Glücksspiel vorliegen: das Spiel ist öffentlich und der Gewinn stellt einen Vermögenswert dar. Entscheidend sei die Frage, ob nach den Vertragsbedingungen die Entscheidung über Gewinn und Verlust allein oder hauptsächlich vom Zufall abhinge oder ob hier Kenntnisse, Fähigkeiten oder die Aufmerksamkeit der Spieler diese Entscheidungen bestimmen. Vom Zufall abhängig sei der Umstand, ob der Teilnehmer der jeweils tausendste Anrufer ist. Bei der Beantwortung der Quizfrage : "Wer moderiert die Sendung "Wer wird Millionär bei RTL": a) Günther Jauch, b) Stefan Raab", seien letztlich besondere Kenntnisse und die Aufmerksamkeit der Teilnehmer erforderlich. Darüber hinaus seien die Spielregeln mit solchen von Sendungen des privaten TV-Senders Neun Live vergleichbar, welche kein Glücksspiel darstellen. Im Ergebnis sei das Spiel aus o.g. Gründen kein Glücksspiel i.S.v. § 284 StGB, sondern der Charakter eines Geschicklichkeitsspiels sei im ausreichenden Maße vorhanden.
Das Innenministerium NRW forderte die Angeklagten auf, das Spiel einzustellen, da es ein Glücksspiel darstelle.
Hiergegen wandte sich der Rechtsanwalt der Angeklagten, woraufhin das Innenministerium NRW Strafanzeige wegen Verstoßes gegen § 284, 287 StGB erstattete.
Entscheidungsgründe
Von [dem] Vorwurf waren die Angeklagten (?) freizusprechen.
Diese Feststellungen beruhen auf den Erklärungen der Angeklagten und ihres Verteidigers, des Rechtsanwalts J, den Bekundungen der Zeugen V und B, dem Verlesen des schriftlichen Gutachtens des Rechtsanwalt B und dem Verlesen der Schreiben der Verteidiger der Angeklagten Bl. 241 bis 265 d. A. und der Erörterung des Akteninhalts.
Beide Angeklagten behaupten, in Übereinstimmung mit ihren Verteidigern, es handele sich bei dem Spiel nicht um ein Glücks- sondern um ein zulässiges Geschicklichkeitsspiel. Sie berufen sich dabei nicht nur auf die Beratung durch ihre Verteidiger und durch Rechtsanwalt B, sondern verweisen insbesondere auf die Quizshows der Fernsehsenders SAT1, das Quiz von ARD, 21 von RTL, Alles auf Rot von 9 Live und behaupten, bei diesen Veranstaltungen öffentlich-rechtlicher und privater Fernsehanstalten handele sich ebenfalls um Spiel Veranstaltungen, die mit dein von ihnen veranstalteten Spiel ?Bei Anruf Millionär" vergleichbar seien. Und aus denn Umstand, dass diese Veranstaltungen weiterhin gesendet würden seien sie davon überzeugt, dass die ihnen von ihren Verteidigern und von Rechtsanwalt Birken stock zuteil gewordene Beratung richtig sei. Sie seien daher nach wie vor davon überzeugt, dass es sich im wesentlichen um ein Geschicklichkeitsspiel handele, weil ja die Frage ob jemand etwas gewinne, letztlich von seinen Kenntnissen und Fähigkeiten abhänge, nämlich davon, dass er die jeweils gestellte Frage beantworten müsse.
Das von den Angeklagten veranstaltete Spiel ?Bei Anruf Millionär" ist ein öffentliches Glücksspiel; denn die Entscheidung über Gewinn und Verlust nach den Vertragsbedingungen hängt überwiegend vom Zufall und nicht von den Fähigkeiten und Kenntnissen und der Aufmerksamkeit der Spieler ab. Das Spiel ist öffentlich, weil sich jedermann durch Wählen der Mehrwertnummer 0190/802802 daran beteiligen kann. Mit der Zahlung der Telefongebühren zahlt der jeweilige Spielteilnehmer auch einen Spieleinsatz. Entgegen der in dem Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 26. November 2001 (Bl. 4 Rückseite der Akte) zum Ausdruck gekommenen Ansicht, der jeweilige Anrufer könne durch Geschick ermitteln, wann er der jeweils tausendste bis zum millionsten Anrufer sein werde, handelt es sich, wie auch Rechtsanwalt B in seiner gutachterlichen Stellungnahme richtig dargestellt hat um einen Zufall, weil keiner durch noch so hohes Geschick es in der Hand hat zu erreichen, dass er einer der jeweils tausendsten Anrufer ist.
Entgegen der Auffassung der Verteidigung des Angeklagten und des Rechtsanwalts B ist auch das Gewinnenkönnen nicht überwiegend von der Fähigkeit des jeweiligen Mitspielers abhängig, sondern das Gewinnenkönnen ist überwiegend vom Zufall abhängig.Dies hat schon die Form gezeigt, wie Rechtsanwalt B die Frage des Gerichts beantwortet hat, aufgrund welcher Fähigkeiten und welchen Geschicks die jeweiligen Anrufer von Nr. 1 bis 999 es erreichen könnten, etwas zu gewinnen. Auf diese Frage herrschte nämlich zunächst minutenlange Stille. Dann begann Rechtsanwalt B leicht zu lächeln und wies dann das Gericht darauf hin, dass er in die Vorbemerkung seines Gutachtens den Satz gesetzt habe ?Eine Haftung für das Ergebnis gegenüber Dritten wird nicht übernommen". Er führte dann weiter aus, er nehme diesen Passus immer in Rechtsgutachten die er erstatte und er neige dazu hinsichtlich des Ergebnisses seines jeweiligen Gutachtens Gutachten in dem Sinne zu erstatten, von dem er den Eindruck habe, dass es vom jeweiligen Auftraggeber so gewünscht sei. Hinzukomme noch, dass das Gutachten von Referendaren vorbereitet worden sei, er es dann geprüft und für richtig in dem vorgenannten Sinne befunden habe. Das Gericht konnte sich im Zusammenhang mit der Vernehmung des Zeugen B und der Stellung dieser Frage an den Zeugen B sowie der Form der Beantwortung dieser Frage nicht des Eindrucks erwehren, dass beiden Angeklagten in diesem Augenblick zum ersten Mal tatsächlich aufging, dass es bei der Abgrenzung des Spiels als Glücksspiel oder Lotterie einerseits und Geschicklichkeitsspiel andererseits nicht darauf ankommt, einzig auf die so genannte Gewinnstufe abzustellen, sondern die Frage des Gewinnenkönnens für jeden Spieler gleich gelagert sein muss, unabhängig davon, ob er der erste, der fünfunddreißigste, der zweihundertsiebenundzwanzigste, der neunhundertneunund- neunzigste oder der tausendste ist.
Für die Frage ob die Angeklagten das von ihnen veranstaltete Spiel tatsächlich selbst nicht als ein Glücksspiel sondern als ein Geschicklichkeitsspiel, das nicht unter das Verbot der §§ 284, 287 StGB fällt, angesehen und demnach in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum gehandelt haben, hat das Gericht die Kriterien herangezogen, die von der Rechtssprechung für die Frage des Verbotsirrtums in § 17 StGB entwickelt worden sind, weil es sich bei den gesetzlichen Ausdrücken Glücksspiel und Lotterie um Rechtsbegriffe handelt, die zum Beispiel im Gegensatz zum Begriff der fremden beweglichen Sache in den Bestimmungen der §§ 242 ff. erst der von der Rechtssprechung und Lehre entwickelten Definition bedürfen.
Feststeht, dass die Angeklagten sich nicht nur vor Veranstaltung des Spiels den Rechtsrat ihrer Verteidiger eingeholt haben, sondern auch ausdrücklich das Rechtsgutachten eines über die Gren¬zen von Köln bekannten Fachanwalts für Strafrecht haben erstatten lassen, der ebenso wie ihre Verteidiger zu dem Ergebnis gekommen ist, bei dem von ihnen veranstalteten Spiel handele es sich um ein solches bei dem der Faktor Geschicklichkeit überwiegend für die Frage des Gewinns von Bedeutung sei. Auch aufgrund der Hartnäckigkeit, mit der Rechtsanwalt B die Position der Angeklagten gegenüber dem Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen für die Angeklagten erkennbar vertreten hat und der vorerwähnten Veranstaltungen ähnlicher Spieler durch öffentliche und private Fernsehanstalten haben die Angeklagten den Eindruck gewonnen, dass es sich in der Tat bei dem von ihnen veranstalteten Spiel nicht um ein im Sinne der §§ 284, 287 StGB strafbewährtes Glücksspiel handele.
Im Gegensatz zu der im Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft zum Ausdruck gekommenen Auffassung, kann das Gericht nicht feststellen, dass die Angeklagten billigend in Kauf genommen hätten, es handele sich in Wirklichkeit um ein Glücksspiel und die von ihnen eingeholten Rechtsberatungen sowohl durch ihre Verteidiger als auch durch den Rechtsgutachter B hätten eine Art Feigenblattfunktion.
Das Gericht verkennt keineswegs, dass die sehr hohen Gewinne, die die Angeklagten bei Fortsetzung des Spiels alsbald ebenfalls zu Millionären gemacht hätten, einzig darauf beruhen, dass von tausend Spielern neunhundertneunundneunzig zwar den Einsatz bezahlen mussten, aber auch von vorneherein keinerlei Gewinnchancen hatten und die Gewinne des jeweils tausendsten auch des jeweils zehntausendsten und hunderttausendsten sowie millionsten in ihrem Wert noch immer erheblich unter dem Einspielergebnis der Einsätze gelegen hätten und schon von dieser Gewinnkalkulation her bei logischem Denken sich hätte aufdrängen müssen, dass Gewinn und Verlust für den Spielteilnehmer überwiegend vom Zufall abhingen. Unter Berücksichtigung des Inhalts des Gutachtens des Rechtsanwalts B, seines Schreibens an das Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen, der im Vorfeld der Spielveranstaltung durchgeführten Beratung durch das Rechtsanwaltsbüro Jonas und des Umstandes, dass mehrere private und öffentliche Fernsehanstalten Gewinnspiele veranstalten, von denen die Angeklagten den Eindruck hatten, dass sie dem von ihnen veranstalteten Spiel gleich seien, kann das Gericht jedoch nicht ausschließen, dass die Angeklagten letztlich davon überzeugt waren, das von ihnen veranstaltete Spiel sei zulässig und weder ein Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB noch eine Lotterie im Sinne des § 287 StGB.
Zwar kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Beratung durch die Anwaltskanzlei Jonas und Rechtsanwalt B wegen des aufgezeigten offenkundigen Verstoßes gegen die Denkgesetze evident falsch waren, das Gericht hat jedoch nicht feststellen können, dass dies den Angeklagten bewusst gewesen wäre oder sie insoweit im konkludenten Zusammenwirken mit ihren Verteidigern und dem Büro des Rechtsanwalts B gehandelt hätten. Ebenso wenig hat das Gericht feststellen können, dass die Angeklagten bewusst die Möglichkeit in Kauf ge¬nommen haben, dass entgegen dem Beratungsergebnis überwiegend Geschicklichkeitsspiel, es sich doch um ein unerlaubtes Glücksspiel gehandelt haben könnte, zumal sie auf von privaten und öffentlichen Fernsehveranstaltungen veranstaltete Spiele hingewiesen haben, die zum Teil nach wie vor von diesen Fernsehanstalten durchgeführte werden, von denen sie zumindest den Eindruck hatten, dass sie zwar teilweise ebenfalls den Faktor Zufall enthalten, bei Erreichen der Gewinnstufe jedoch ausschließlich von den Fähigkeiten und Fertigkeiten des jeweiligen Mitspielers abhängen.
Es kann dahinstehen, ob die Angeklagten grob fahrlässig gehandelt haben, weil eine fahrlässige Begehungsweise der ihnen vorgeworfenen Taten nicht unter Strafe steht.