Vermittlung von privaten Sportwetten nicht strafbar

Amtsgericht Essen

Beschluss v. 26.06.2006 - Az.: 56 Ds 75 Js 362/04 - 41/05

Leitsatz

Da die Zulässigkeit von Sportwetten rechtlich umstritten ist, liegt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor, so dass der Täter straffrei ausgeht.

Tenor

In der Strafsache (...)

wird die Eröffnung dm HaMptvwrfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt.

Die Kosten das Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Landeskasse.

 

Sachverhalt

(vgl. Entscheidungsgründe)

Entscheidungsgründe

I.

Dem Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Essen vom 29.12.2004 vorgeworfen, ab Juli 2004 gewerbsmäßig ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet und die Finrichtung hierzu bereitgestellt zu haben.

Dam Angeschuldigten wird hierbei von der Staatsanwartschaft folgendes zur Last gelegt:

"Der Angeschuldigte vermittelt in den Räumen des Hauses (...) in Essen Sportwetten an den Sportwettenveranstalter S(...) in Österreich. Anlässlich einer Kontrolle am 24.08.2004 wurde festgestellt, dass Wettlisten auslagen und ein Laptop sowie ein kleiner Drucker vorhanden waren, durch die die Wetten eingegeben worden konnten. Der Drucker wirft Wettquittungen für den Spieler aus.

Vergehen, strafbar gemäß §§ 284 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB"

Der Angeschuldigte bestreitet die Strafbarkeit seines Verhaltens. Durch seinen Verteidiger trug er hierzu insbesondere vor, es gebe in Deutschland etwa 1.300 vergleichbare Wetttannahmestellen. In Herne sei ein Wettbüro, in dem Sportwetten vermittelt wurden, beispielsweise geduldet worden. Es gebe eine Fülle von Verfahren und sich widersprechenden Urteilen, so dass die Rechtslage jedenfalls als "offen" zu bezeichnen sei. Das Verhalten sei nicht gemäß § 284 StGB strafbar, weil die Vermittlung von Sportwetten kein Veranstalten eines Glücksspiels sei und weil es sich bei Sportwetten nicht um ein Glücksspiel handele. Außerdem sei § 284 StGB mit europäischem Recht nicht vereinbar Dadurch, dass dem Österreichischem Anbieter eine Erlaubnis erteilt sei, sei auch ihm das Vermitteln der Spprtwetten in Deutschland erlaubt.

Der Angeklagte legte durch seinen Verteidiger eine Vielzahl von Gutachten, Urteilen und Beschlüssen vor, die sich zu diesen Thema verhalten.

II.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens war aus rechtlichen Gründen abzulehnen.

Das Gericht eröffnet ein Hauptverfahren gemäß § 203 StPO, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Es muss also bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung bestehen.

Es besteht keine Wahrscheinlichkeit für eine spätere Verurteilung. Nach vorläufiger Tatbewertung handelte der Angeschuldigte im unvermeidbaren Verbotsirrtum, so dass ihm gemäß § 17 StGB ein Schuldvorwurf nicht gemacht werden kann.

Ein Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB besteht dann, wenn dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, fehlt. Der Angeklagte ging bei Begehung der ihm vorgeworfenen Tat davon aus, dass sein Verhalten rechtmäßig ist. Der Angeklagte war und ist der Auffassung, dass das Vermitteln von Sportwetten im Einklang mit der Rechtsordnung steht.

Dieser Verbotsirrtum war für den Angeklagten unvermeidbar. Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn dem Täter sein Vorhaben unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse hätte Anlass geben müssen, über dessen mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen, und er auf diesem Wege zur Unrechtseinsicht gekommen wäre, (vgl. Tröndle/Fischer zu § 17 StGB, Rn. 7). Im Hinblick auf die im Jahr 2004 und auch heute noch unklare und umstrittene Rechtslage bestand zwar Anlass für den Angeschuldigten, über eine mögliche Rechtswidrigkeit des Verhaltens nachzudenken, jedoch hatte der Angeschuldigte durch Nachdenken und Erkundigung nicht mit ausreichender Sicherheit zur Unrechtseinsicht kommen können.

Im Jahr 2004 wurden eine Vielzahl von vergleichbaren Wettannahmestellen, in denen die Vermittlung von Sportwetten angeboten wurde, betrieben - sie waren und sind in annähernd jeder größeren Stadt zu finden. In Nordrhein-Westfalen wurde der Betrieb der Wettbüros aufgrund von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen und öffentlich-rechtlichen Erlassen vielfach geduldet.

Maßgeblich war aber die Rechtslage im Tatzeitraum in Rechtsprechung und Literatur derart umstritten, dass der Angeschuldigte keine verbindliche und sichere Auskunft zur Rechtslage hätte erhalten und zur Unrechtseinsicht hätte gelangen können.

Im Tatzeitraum ergingen zur Fragestellung unter anderem folgende in der Fachliteratur veröffentlichte und diskutierte Entscheidungen mit widersprechenden Aussagen;

OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.03.2003 -11 ME 420/02; VG München, Urteil vom 04.04.2000 - M 16 K 98.1222; VG Stade, Beschiuss vom 27.11.2003 - 6 B 1674/03; OLG Köln, Urteil vom 2105.1999-6 U 195/97; AG Karlsruhe-Duriach: NStZ 2001,254; VG Stuttgart NVwZ 2004. 1519; BGH NStZ 2003, 372 (BGH, Urteil vom 28. 11. 2002 - 4 StR 260/02 (LG Bochum)); OLG Köln, Urteil vom 22.10.1999 - 6 U 53/98; VG München, Beschiuss vom 19.02.2004 - M 22 S 04.542; OVG Magdeburg, Beschiuss vom 28.01.2002 - 1 M 2/02; OLG Hamburg, Urteil vom 12.08.2004 - 5 U 131/03; OLG München, Urteil vom 27.10.2005 - 6 U 5104/04; OVG Münster NVwZ-RR 2004, 653; BVerwG NJW 2001, 2648; BGH NJW-RR 2002, 395; OLG Hamburg MMR 2002, 471; OLG Hamm MMR 2002, 551.

Das Landgericht München I entschied am 27.10.2003, also unmittelbar vor dem Tatzeitraum: "Eine Österreichische Veranstaltungsbewilligung für die Tätigkeit als Buchmacher ist eine behördliche Erlaubnis i.S. des § 284 I StGB. Die österreichische Erlaubnis entfaltet Wirksamkeit für das gesamte EU-Gemeinschaftsgebiet." (LG München I, Beschiuss vom 27. 10. 2003 - 5 Qs 41/D3 NJW 2004, 71 = NStZ-RR 2004, 142)

Das Amtsgericht Karlsruhe-Durtach entschied am 13.07.2000:

"1. Die Sportwette ist kein Glücksspiel.


2. Das Vermitteln von Sportwetten ins Ausland ist kein "Veranstalten" bzw. Bereitstellen von Einrichtungen" i.S. des § 284 StGB.

3. Ein Glücksspiel wird nicht "ohne erforderliche Erlaubnis" veranstaltet, wenn es eine entsprechende öffentlich-rechtliche Erlaubnisvorschrift gar nicht gibt."

(AG Karlsruhe-Durlach, Urteil vom 13. 7. 2000 -1 Ds 26 Js 31893/98 (nicht rechtskräftig) NStZ 2001,254)

Das Landgericht Bochum, Auswärtige Strafkammer in Recklinghausen, entschied am 26.02.2002:


"Eine Sportwette ist kein Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB"

(LG Bochum, Urteil vom 26. 2. 2002 - 22 KLs 10 Js 121/01 149/01, (nicht rechtskräffig) NStZ-RR, 170). Das Urteil wurde vom BGH aufgehoben.

Am 09.02.2004 urteilte der VGH Kassel:

"Es begegnet im Lichte der Rechtsprechung des EuGH (NJW 2004,139 = NVwZ 2004, 87 - Gambelli) erheblichen Bedenken, die Vermittlung einer durch einen ausländischen Wettanbieter veranstalteten Sportwette durch ein hier ansässiges Unternehmen auf der Grundlage von § 1 I Satz 1 und V HessSpW/LottoG bzw. § 284 StGB zu untersagen."

(VGH Kassel, Beschluss vom 09.02.2004 - 11 TG 3060/03; LSK2004,160223)

Und das Verwaltungsgericht München entschied mit Urteil vom 04.04.2000:

"1. Die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten unterfallen dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 121 GG und erfüllen nicht den Straftatbestand des § 284 StGB (Fortführung BVerwG, NVwZ 1995, 475, 478 und 481).

2. Das Untertassen eines Landesgesetzgebers hinsichtlich eines Sportwettengesetzes kann nicht dazu führen, dass private Wettunternehmer ihrer verfassungsrechtlich geschützten beruflichen Rechtsposition verlustig gehen."

(VG München, Urteil vom 04.04.2000 - M 16 K 98.1222; LSK 2002,100840)

Weil Verwaltungs- wie auch Strafgerichte im und vor dem Tatzeitraum zum Ergebnis gekommen sind, die Vermittlung von Sportwetten sei nicht gemäß § 284 StGB strafbar, und weil diese Entscheidungen veröffentlicht und in der Wissenschaft und Fachpresse kontrovers diskutiert wurden, kann dem Angeschuldigten nicht vorgeworfen werden, er habe erkennen müssen, dass sein Verhalt rechtswidrig und strafbar ist.

III.

Die Kostentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.